Montag, 15. Dezember 2008

Die letzten Fünf und eine Kiste


Da stand sie nun im seichten Wasser in der Bucht vor Rumena. Sie war eine große sperrige Holzkiste. Chinesische Schriftzeichen und das Wort „Germany“ prangten auf ihr. Ihre Herkunft war unbekannt. Sicher war, dass die Box einen längeren Seeweg hinter sich zu hatte. An vielen Stellen wirkte die Farbe verwittert, ansonsten war alles in gutem Zustand. Die Wellen hatten sie nach Chile getragen.

Gonzalo hatte die Kiste als erster entdeckt. Schnell hatte er seinen Sohn als Aufpasser zur Hilfe gerufen, ihr Inhalt war möglicherweise wertvoll, weshalb er sie nach Hause schleppen wollte. Der Fischer musste jedoch einen Karren holen, denn mit den bloßen Händen konnten sie die Beiden nicht tragen. Sie war viel zu schwer. „Pass du auf!“, sagte er seinem Jungen. Niemand durfte ihm zuvorkommen. Gonzalo befürchtete die Gier seiner Kollegen, doch diesen Fund sollten sie ihm nicht streitig machen.

Zu Hause stellten den Schatz stolz ins Wohnzimmer. Der Vater wollte sie trotz aller Neugier nicht sofort öffnen: „Lass uns warten, bis deine Mutter und deine Schwestern nach Hause kommen.“ Pancho gehorchte artig, obwohl die Kiste mitten im Raum stand und alles versperrte. Es war fast unmöglich an ihr vorbeizukommen. Gonzalo musste seinen dicken Bauch erheblich einziehen, wenn er ins Bad oder in die Küche wollte. Er blieb einfach draußen und verzichtete auf seine geliebte Tasse Kaffee. Auch für Pancho war der Klotz lästig. Sein Filmabend war versperrt, denn zwischen Sofa und Fernseher stand der vermeintliche Schatz: „Mein Gott, das Ding stört doch. Warum machen wir es nicht einfach auf?“ Er behauptete, hinter der geheimnisvollen Verpackung seien am Ende nur alte Stiefel zu finden. Sein Vater war sich aber gewiss, dass es sich um etwas ganz besonderes handle, weshalb die ganze Familie bei der feierlichen Öffnung dabei sein solle.

Spät am Abend kehrten Mutter und Töchter heim. „Was steht denn da im Wohnzimmer rum?“ „Ja, das ist mein Fang von heute“, erklärte der Vater stolz. „Und was ist das?“ „Eine Kiste.“ „Das sehe ich.“ Während Gonzalo seinen Fang nicht aus den Augen lies, wollte Alejandra ihr Wohnzimmer von dem Unding wieder befreit haben: „Na, mach die Box mal auf und dann raus mit dem Kram.“ Ihr Mann war enttäuscht. Er hatte sich etwas mehr Euphorie von seiner Frau erhofft, schließlich war das Strandgut so etwas wie ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk. Um die Stimmung nicht weiter anzuspannen, begann er mit dem Öffnen.

Einfach war es nicht. Die Kiste war fest zugenagelt und versiegelt. Gonzalo brauchte Pancho Hilfe und sein bestes Werkzeug. Nach etwa 45 Minuten löste sich endlich der Deckel. Mit dem Inhalt konnte jeder keiner so recht was anfangen: Hunderte Müslischalen, Kaffeebecher, Plüschfußbälle, Schreibmappen lagen darin, sowie allerlei andere Dinge wie T-Shirts und Pullover. „Naja, schlecht ist das nicht, allerdings auch kein Gold, mein Lieber“, erkannte Alejandra. Sie durchstöberte die Artikel, um sie brauchbar und nutzlos zu sortieren. Für jeden war etwas dabei, die Farben gefielen, nur die 96 verwirrte etwas. „Was soll diese Zahl bloß bedeuten?“, fragte die Frau. „Ach Mama, das ist eine Fußballmanschaft, so wie Colo-Colo“, erklärte Pancho. „Auch so gut?“, wollte sein Vater wissen. „Ich schaue nach“, verprach sein Sohn und rannte aufgeregt sofort ins Internetcafe.
Nach kurzer Zeit kam er wieder. Sein Blick war etwas ernüchtert. Er hatte gelesen, dass dieses 96 in den letzten fünf Spielen nur einmal gegen einen gewissen KSC gewinnen konnte, dafür jedoch gegen Mannschaften wie Frankfurt und Wolfsburg verloren hatte. Gegen Bielefeld und Bochum, was für Pancho eher nach Hautkrankheit als nach Fußballglanz klingt, gab es nur Unentschieden. „Nein Papa, so gut wie Colo-Colo ist dieser Verein nicht.“ Er verkündete aber, dass er trotzdem ab sofort 96-Fan sei und der Rest der Familie sich anschließen müsse. Dieses Schicksal sei in einer Kiste geliefert worden. „Dann behalt ein paar Sachen, aber das meiste wird auf dem Markt verkauft“, kommentierte seine Mutter nur. Der Vater stimmte zu und fasst einen geschäftstüchtigen Plan: "Und wir erzählen dann einfach, dass diese Mannschaft so gut wie Colo-Colo sei."

Dienstag, 9. Dezember 2008

Diese Woche wird der Blog wieder aktualisiert


Zweimal pro Woche sollte es eigentlich neue Artikel geben, doch ein kleiner Mann hat lautstark etwas dagegen. "Sitz nicht die ganze Zeit am Computer, Papa!", entnehme ich seinem Schreien und Diego hat völlig Recht. In den kommenden Tagen wird "Fußball von unten" aber endlich wieder mit einem neuen Artikel versorgt.

Samstag, 8. November 2008

Was alles fehlt: Werder, Hertha, Hamburg und die Kölner



“Hola Lucho! Soviele Monde sind vergangen, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben.“ „Wie wahr, wie wahr! Ich bin unterwegs gewesen“, erklärt Lucho dem freudigen Grüßer seine Abwesenheit. Dieser will natürlich sofort wissen, wohin es den alten Freund verschlagen hatte. Ganz unten im Süden sei er gewesen, um sich endlich einmal Chiles untere Hälfte anzuschauen. „Ich kann meinen Neid nicht verbergen“, gesteht ihm Pedro und fragt nach einem Resümé. „Natürlich großartig, doch das kurioseste war der Typ, der gerade mit mir die Bierflasche leert“, antwortet Lucho und zeigt auf einen deutschen Rucksacktouristen mit auffälligem Durst. „Es ist die sechsundneunzigste Flasche“, bemerkt jener nur. „Siehst du, damit fängt das Drama schon an“, meint Lucho. „Das ist übrigens Volker.“

Die beiden haben sich in Puerto Natales kennen gelernt. Die patagonische Stadt ist Ausgangspunkt für alle Besucher des Nationalparks „Torres del Paine“, den sowohl Lucho als auch Volker besichtigen wollten. In einem kleinen Restaurant kamen sie ins Gespräch, nachdem Lucho erkannte, dass der deutsche Fußballfan sei. „Es war ein Fehler ihn auf die Bundesliga anzusprechen“, bedauerte er später.

Sie unterhielten sich dennoch prächtig und da sie beide dasselbe Reiseziel hatten, beschlossen die den Naturpark gemeinsam zu durchqueren. Es war eine beindruckende Tour durch eine einmalige Landschaft, über der die schneebedeckten Gebirgstürme majestätisch thronen. Neun Tage gab es nur die reine Natur mit rauschenden Flüssen, glasklaren Seen, vielen Tieren und sogar einem relativ milden Wetter für den Südzipfel Chiles. „Weißt du, man hätte es alles problemlos genießen können, wenn nur Volker nicht diesen Fußballfanatismus hätte“, beklagt sich Lucho lachend bei seinem Freund.

Als die beiden gerade ihre zweite Tageswanderung hinter sich hatten, war Volker verzweifelt auf der Suche nach einer Funkverbindung für sein Handy. Er wollte unbedingt wissen, wie Hannover 96 gegen Werder Bremen gespielt habe. Lucho beschreibt zwei Wochen später, wie nervös der Begleiter deshalb gewesen wäre. Geradezu fassunglos war Volker mit seinem fehlendem Wissen. „Ich hätte ihn vielleicht einfach k.o. schlagen sollen“, so Lucho.

Er glaubte jedoch, dieser Wahn hätte mit dieser Erfahrung bereits gegeben, doch wurde beim Anblick des Gletscher Greys vier Tage später eines besseren belehrt. „Mist, hier finde ich das 96-Ergebnis gegen Berlin wohl auch wieder nicht raus“, kommentierte Volker beim Anblick des Naturwunders. Lucho verwirrte die Fußballliebe endgültig. Er selbst war von den Eismassen fasziniert und dachte kein bisschen an irgendwelchen müden Kicks fernab in Deutschland.

Doch es steigerte sich noch. „Am Samstag mussten wir dann unbedingt 96 Steine in einen See schmeißen, weil Volker davon überzeugt war, dass seine Roten somit gegen Hamurg gewinnen würden“, erinnert sich Lucho. Er nahm es mit Humor, da er zu gerne Steinchen übers Wasser springen lies. Die Verwunderung über seinen Mitreisenden war erneut gewachsen. Für Volker gab es Hannover 96 einfach überall. Selbst die atemberaubende Kulisse konnte seine Gedanken an den Spieltagen nicht ändern. Wie gut, dass sie vor der Partie gegen den 1. FC Köln wieder in Santiago waren. So verabredeten sie sich zum gemeinsamen Fußballgucken.

Während nun 96 erneut einen Auftritt verpatzt, sitzen die beiden in einer Sportbar in Bella Vista und trinken sich die Begegnung schön. Trotz Alkoholkonsums ist Lucho entsetzt: „Pedro! Da hat dieser Deutsche tagelang Skandale wegen seiner Lieblingsmannschaft veranstaltet und dann stellt sich heraus, dass sie eine Gurkentruppe ist.“ Die 1:2-Niederlage macht aus dem Chilenen keinen Fan.

Freitag, 24. Oktober 2008

Ein Nachtrag zu Dortmund und TSG Hoffenheim


Manchmal hält einen das wahre Leben davon ab, 96 aus der Internet oder TV-Nähe zu verfolgen. Die Spiele gegen Dortmund und Hoffenheim wurden von mir nur semiprofessioniell verarbeitet, die Zeit zum Schreiben war einfach knapp. Hier also die Gründe für die Nachlässigkeit.
Borussia Dortmund - Hannover 96
Es war das Wochenende des chilenischen Clásicos und gleichzeitig eine Chance dem Lotterleben "Adios" zu sagen. Zwangloses Barhopping konnte noch einmal rund um die Uhr zelebriert werden. Keine Sekunde wurde vor einem Computer verschwendet, stattdessen sendete die Ehefrau regelmäßig eine SMS mit den Spielständen, während im Santiaguiner Ausgehviertel Bellavista das billige Bier bereits am Morgen schon wieder schmeckte.
Das 1:1 wurde vernommen, war jedoch fast egal. Auf der hauptstädtischen Partymeile lieferten sich Fans von Colo-Colo und La U ein Gesangsduell, während die Sonne den Durst förderte. Fußball live, wie man ihn liebt.
Hannover 96 - TSG Hoffenheim
Seit dem Vortag hat das Leben mal wieder eine radikale Veränderung genommen. Aus zwei wurden drei und mein Sohn bestimmt seit dem 17. Oktober unseren Tagesablauf. Während in der alten Heimat die Roten gegen Überraschungsmannschaft von Ralf Rangnick kickten, lies ich zwar NDR2 auf dem Computer laufen, aber ich hörte nur mit einem halben Ohr hin. Einige Feinjustierungen beim Nestbau waren noch erforderlich und natürlich dachte ich mehr an den Kleinen als an die Bundesliga.
Beim Spielstand von 2:1 verlies ich guten Gewissens meine Wohnung in Richtung Krankenhaus, wo Frau und Kind schon auf mich warteten. Ich nahm Diego freudig in die Arme und erklärte ihm, dass 96 gewonnen habe. Seine Antwort war ein äußerst skeptischer Blick. Dieser war angebracht, denn sein neues Lieblingsteam konnte die Führung nicht über die Zeit retten. Ein 2:5 lässt nicht einmal einen moralischen Sieg zu.
96 - Werder gibt es wieder im gewohnten Format.

Samstag, 18. Oktober 2008

Chile für 96 (#5)


Auf dem richtigen Weg befinden sich die Fans von Colo-Colo, wenn sie an diesem Pfeiler vorbeigehen. Die eingravierte 96 ist in der Nähe des Estadio Monumental in Santiago zu sehen.

Mittwoch, 15. Oktober 2008

Clásico Chileno der Clausura 2008


Der Superclásico ist das Herzstück jeder südamerikanischen Liga. Das ganze Land schaut auf die Partie, in der die beiden größten Erzfeinde aufeinandertreffen. In Chile zieht die Begegnung zwischen Colo-Colo und Universidad de Chile die Aufmerksamkeit auf sich. Am 5. Oktober spielten sie im Estadio Monumental gegeneinander. Die „Albos“ gewannen gegen die Blauen von La U mit 2:0.

La U war ursprünglich Favorit dieser Neuauflage. Die Saison lief bislang sehr zufriedenstellend. Die Tabellenführung ließ die Fans von einer Teilnahme an der Copa Libertadores träumen und 14 Tage zuvor konnte der Verein bereits im ungeliebten Stadion Monumental gegen Palestino gewinnen. Ein Sonderfall, weshalb der blau-rote Anhang optimistisch den Clásico erwartete. Die Mannschaft um Marcelo Salas enttäuschte leider. Sie ging kampflos in langweilenden 90 Minuten vor 40.000 Zuschauern unter. La U verlassen regelmäßig die Kräfte in der Heimstätte von Colo-Colo. Es liegt ein Fluch über dieser Arena.

Die Fans bevorzugen die Stadtderbys im weitläufigeren Estadio Nacional, weil sie in der Regel wahre Fußballfeste sind. Im Finalspielort der WM 1962 sorgen mehr als 60.000 Zuschauer stets für eine prächtige Stimmung, weil auch beide Seiten gleichstark vertreten sind. Größere Probleme gibt es dabei nicht. Lediglich das Schimpfwörtervokabular wird ausgiebig erweitert.

Anders sind die Partien beim Rekordmeister. Colo-Colo bietet den Blauen nur 6.000 Karten an und die Gästekurve gehört zu den schlechtesten im Fußball. Rostige Drahtzäune erlauben nur einen perforierten Blick auf den Rasen und durch die Enge beim Eingang sowie im Stadion sind Ausschreitungen vorprogrammiert. Auf dem Vorplatz gehört es zur guten Tradition sich mit der Polizei eine zünftige Schlacht zu liefern. Die Staatsmacht nutzt dabei wenig zimperlich Wasserwerfer, Tränengas und Knüppel. Die „Los de Abajo“ von La U helfen sich mit Steinen, Flaschen sowie anderen Wurfgeschossen. Es ist eine etwas andere Folklore, aber ein Muss bei jedem Clásico.

Im Stadion einmal angekommen, werden sofort die Toiletten und Absperrungen auf ihre Standhaftigkeit geprüft. Die Qualität wurde verbessert, denn anders als in den Vorjahren konnte dieses Mal der Zaun nicht eingerissen werden. Colo-Colo hatte sogar vorgesorgt und die losen Steine aus der Kurve entfernt. Es flogen deutlich weniger Gegenstände, ein Umstand, den ich nicht bemängelte, stand ich doch direkt am Zaun in der Schusslinie.

Das Duell auf den Rängen gewannen klar die Hausherren. Sie hatten das größere Feuerwerk und lautere Gesänge. Ein 2:0 macht das Feiern leicht und die Hinchas von La U waren eher mit der Fassunglosigkeit von dem Dargebotenem als mit Unterstützung beschäftigt. Hier und da muckte der Mob mal auf, doch es war ein ruhiger Clásico auf Seiten der Blauen. Erst beim Ausgang ging es wieder hoch her, als die Fans auf die Polizei trafen. Das Vorprogramm wiederholte sich und die Wasserwerfer spülten die Zuschauer zur Metro. Direkt am Zaun und mit Blick auf die Rivalen. Sicht aufs Spielfeld für 6.000 Pesos.

Sicher ist sicher: viele Fans kamen mit Fliegenklatschen und Atemschutzmasken ins Monumental

Dienstag, 30. September 2008

Hannover 96 - Bayern München


Es ist Samstagmittag und der Tag lächelte mir schon seit Stunden in schönster Weise entgegen. Die Sonne scheint, auf der Plaza Peru hat sich wie jedes Wochenende ein Flohmarkt breitgemacht. Von rostigen Knöpfen über verstaubte Schnapsflaschen bis hin zu kuriosen Raritäten wird alles mögliche angeboten. Mittendrin ein Stand mit verblichenen Fußballmagazinen. Mein Blick sortiert sofort die Hefte nach Altpapier und echten Schätzen. „1000 Peso“, nennt der zottelige Verkäufer als Preis. Diese 1000 Peso oder auch eine Luca, wie die Chilenen jene Summe nennen, sind viel zu teuer. Concepción ist ein kostspieliges Pflaster, in Santiago drückt die Konkurrenz den Kurs. Auf dem Hauptflohmarkt Bio-Bio werden nur 500 Peso verlangt. Ich lehne dankend ab.

„Aber du magst doch Fußball?“, fragt mich der Alte und zeigt auf mein 96-Trikot, das ich wie jeden Samstag trage. Ich verneine nicht und wir führen ein ausgiebiges Gespräch über das globale Gekicke. Der Zausel schwärmt für die Premier League und zugleich werden Klagen über die heimische Liga laut, denn der Mann leidet, da sein Lieblingsverein Deportes Concepción derzeit den Spielbetrieb eingestellt hat. Den Futból Aleman schaue er ebenfalls gelegentlich, vor allem Bayern München mit Ribery. Darauf kramt er aus einer Kiste einen Schal des Rekordmeisters hervor und will ihn mir andrehen: „Nur 5 Lucas.“

In meinem Gesicht formt sich ein breites Grinsen. An dem warmen Frühlingstag bräuchte ich wirklich keinen Schal und schon gar nicht von einem Verlierer, erkläre ich dem Mann. „Wie Verlierer? Die sind doch immer Meister“, ist er erstaunt und gibt mir Anlass für eine farbenreiche Glorifizierung der Roten. Der arme Kerl muss fast jede Spielminute nachvollziehen und kommentiert trocken: „Scheint ein toller Verein zu sein, dein Hannover 96.“ Das 1:0 von Szabolcs Huszti werde er sich am Abend in den Nachrichten anschauen, verspricht er. Ich weise ihn darauf hin, dass er sich auch das 5:1 gegen Mönchengladbach im Internet nicht entgehen lasse dürfe. Mein Zuhörer ist tief beeindruckt. Er sei ab sofort 96-Fan, wenngleich ihm 69 besser gefalle. Die Bemerkung ist ein Klassiker und ich lache mit ihm.

„Aber jetzt mal zur Wahrheit, mein Freund“, nimmt er plötzlich das Gespräch in die Hand. So wie ich von meiner Equipe erzähle, sei verdächtig, meint er erfahren. Zuviel Verehrung und zuwenig Kritik stecke darin. „Dein Hannover 96 ist bestimmt nur ein mittelmäßiger Klub, dem ein Zufallstreffer gelungen ist.“ Wenn Deportes die Santiaguinos von Colo-Colo schlage, rede er ähnlich.

Freitag, 26. September 2008

96 ist ein Dauerbrenner im TV


Die Bundesliga wird inzwischen weltweit ausgestrahlt. Vor allem der FC Bayern München hat eine globale TV-Präsenz. Das Interesse an der Liga nimmt zu, wenngleich sich die Fußballanhänger im Ausland fast ausschließlich nur für die Spitzenteams begeistern. Die grauen Mäuse bleiben unbeobachtet.

Als graue Mäuse werden Bundesligavereine bezeichnet, die jenseits der regionalen Grenzen für wenig Aufregung sorgen. Sie gelten nicht als Zuschauermagnet, gehören aber auch nicht zu den Armenhäusern oder Skandalnudeln, sondern verstecken sich im Durchschnitt. Meist landen diese Mannschaften irgendwo im Mittelfeld und die Ergebnisse werden in einem Nebensatz wahrgenommen.

Hannover 96 reiht sich in Deutschland in diese Riege der Unscheinbaren, selbst wenn das aus Fansicht natürlich ganz anders aussieht. Die Medien und Sympathisanten der Konkurrenz tun sich schwer mit dem vermeintlichen Glanz und Gloria, dabei waren die Niedersachsen doch der einzige echte Zweitligist, der je den DFB-Pokal gewann.

In Lateinamerika wird der Mythos „Hannover 96“ weitaus mehr zu geschätzt. Die Partie gegen Bayern München wird das fünfte von sechs Spielen der Roten sein, das in dieser Saison live zu sehen ist. Bei den Kanälen espn, espn+ und golTV sowie dessen Internetpartner terra ist 96 Programm. Lediglich die Begegnungen des Deutschen Meisters gab es häufiger im Fernsehen und auch nur Schalke 04 war ebenfalls fünfmal live auf dem Bildschirm. Der Rest bekam, was übrigblieb.

Weil espn und golTV auf dem gesamten amerikanischen Kontinent vertreten sind, haben Hochrechnungen ergeben, dass ungefähr 500 Millionen Menschen wöchentlich die Auftritte von Robert Enke verfolgen. Der 96-Boom wirkt sich natürlich positiv auf den Merchandisinghandel aus. Bei der chilenischen Kaufhauskette fallabella liegen die Hannover-Trikots zum Verkauf bereit, Jerseys von Werder Bremen, Borussia Dortmund oder auch europäischen Topklubs gibt es nicht.

Mittwoch, 24. September 2008

Bayer Leverkusen - Hannover 96


“Hola Cariño, kommst du mit? Wir machen es uns gemütlich.” Jorge lässt sich von der zu stark geschminkten Frau nicht beeindrucken. Sie wartet mit ihren hautengen Jeans und weitausgeschnittenem Oberteil in einem Hauseingang auf Kunden, doch sie bleiben aus. Die Dame hat ihre besten Zeiten längst gehabt. Make Up und Rouge kaschieren die Erlebnisse ein wenig, jedoch nicht erfolgreich. Potenzielle Freier schlendern nur gelegentlich vorbei, an diesem 19. September verspüren die Männer vorerst eine innige Fleischeslust auf Steaks und Würstchen. Überall steigen die Rauchwolken der Kohlegrills auf. Auch Jorge zieht es zu einem ausgiebigen Essen, das als noch reichhaltigeres Trinken enden wird. „Die Liebe wird der Nachtisch sein“, sagt er sich und verspricht dem veruchenem Häuserblock am Mercado Central eine spätere Visite.

Es ist chilenischer Nationalfeiertag. Die Menschen tanzen und singen, vor allem die typische Cueca, einem beliebten Volkstanz. Jorge trägt dazu eher unpassend ein Trikot von Bayer Leverkusen. Vidal ist auf seinem Rücken zu lesen. Der Abwehrspieler gehört zu seinen Lieblingen, seit er bei Colo-Colo nicht nur in der Defensive für Furore sorgte. „Hey Vidal, geh einen zechen“, fordert ihn ein schwankender Kerl von der anderen Straßenseite auf und zeigt auf die Eingangstür einer Kneipe. „La Piojera“ steht über dem Bogen. Hinter der wenig einladenden Fassade versteckt sich ein Klassiker der chilenischen Hauptstadt. Tagtäglich wird in dieser Taverne die Folklore gelebt. Bier, Pisco und natürlich das berüchtigte Wein-Ananaseis Gemisch „Terremoto“ geben der Stimmung den richtigen Schwung, so dass sich kein Gast lange alleine fühlen muss. Vor allem blonde Touristinnen von der Nordhalbkugel werden schnell von alkoholseeligen Männern umgarnt.

Jorge kommt ebenfalls sofort ins Gespräch. „Hat Arturo heute getroffen?“, fragt ihn ein Fußballfan im blauen Dress. Universidad de Chile steht auf seinem Shirt. Jorge hat keine Ahnung. „Ausgewechselt wurde dein Held“, erklärt ihm der Blaue und meint, dass dies typisch für Colocolinos sei. Versagen sei bei denen vorprogrammiert. Das ist zwar nicht richtig, aber der La U-Anhänger kann den Mund derzeit vollnehmen, seine Elf steht auf Platz Eins der Tabelle.

Der chilenische Leverkusener ist solche Provokationen längst gewöhnt. Zwei Wochen vor dem Aufeinandertreffen der beiden Erzrivalen Colo-Colo und La Universidad de Chile gehören sie zum Alltag und Jorge teilt auch gerne aus, zumal sein Team Rekordmeister ist: „Wenigstens sind unsere Spieler im Ausland gefragt, das kannst du nicht behaupten.“ An dem Tisch entsteht eine leidenschaftliche Diskussion über die Vorherrschaft in Santiago, Beschimpfungen bleiben nicht aus und am Ende siegt der Durst. „Wir brauchen neues Bier, Vidal.“ Jorge stimmt zu und bestellt. Wie hat Leverkusen überhaupt gespielt“, will er von Saufkumpanen wissen. „4:0 gegen Hannover gewonnen,“ antwortet dieser und schenkt ein.

Mittwoch, 17. September 2008

Hannover 96 - Borussia Mönchengladbach


“Bist du Alejandro?” Ein junger Mann blickte nach oben: „Ja. Und du bist Camila?“ Er stand auf und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Sie schaute ihn musternd an: „Jetzt erinnere ich mich wieder. Du warst auf Marcelas Geburstagsparty.“ Alejandro stimmte zu und erklärte, er wäre einer ihren langjährigen Freunde.
Marcela war es auch gewesen, die das Treffen der beiden vermeintlich Unbekannten arrangiert hatte. „Lasst euch doch mal verkuppeln“, forderte sie ein paar Tage zuvor von ihm. Sie habe da eine Bekannte, die hübsch, sympathisch und vor allem Single sei, weshalb sie perfekt zu ihm passe. Sowohl Camila als auch Alejandro fanden ihre Idee zwar etwas zu direkt, sagten allerdings zu. Bei einem sonntäglichem Frühstück in einem Café im Zentrum Santiagos wollten sie sich kennen lernen.
„Dann berichte mal von dir. Was machst du so?“, fragte Camila. Er sei Sportjournalist, so Alejandro und versuchte zugleich das Thema zu übergehen. Fußball gehöre nicht in einen Flirt, war er der Meinung. „Journalist? Das ist interessant“, meinte die Frau charmant gespielt. Ihr Gegenüber bedankte sich und fügte zugleich ein, dass sich vieles wiederhole, da in der chilenischen Liga nicht gerade die Sensationen sprudeln würden. Er träumte davon in Europa zu arbeiten, wo alles viel größer wäre. In Gedanken zwang er sich, über etwas anderes zu reden, damit er Camila nicht langweilte. „Naja, ich verfolge das alles nicht“, bestätigte sie seine Vermutung. Mit den Reiseplänen zum kommenden langen Wochenende fanden sie schnell ein gemeinsames Gesprächsthema. Ganz Chile feiert am 18. September seinen Nationalfeiertag und nutzt die Festtage für einen Kurzurlaub. „Ich werde nach San Pedro fahren“, erzählte Camila voller Vorfreude und schmückte dabei ihr Programm aus: ein Besuch bei den Geysiren von El Tatio, die Lagunen, der Vulkan. Alle sollte besichtigt werden.
„Jaaaaa“, jubelte Alejandro plötzlich. „Deine Anteilnahme ist zwar schön, aber ist das nicht übertrieben?“, wunderte sich seine neue Bekanntschaft. „Ach, wie? Was?“ Alejandro war verwirrt. Er hatte ihr nicht mehr richtig zugehört, seit er auf dem Kneipenfernseher eine Fußballübertragung entdeckt hatte: Hannover 96 gegen Borussia Mönchengladbach. „Sag mal, guckst du etwa Fußball?“ Camila war entsetzt. Da hatte sie ihr erstes Blinddate ihres Lebens und der Kerl schaute irgendein Gekicke aus Deutschland. „Ähm, ja, aber das Spiel ist gut und die Roten haben gerade ein Tor geschossen“, versuchte er die Situation zu beschwichtigen. Erfolglos, denn Camila wollte das Café sofort zu verlassen. „Kein Wunder, dass du dich verkuppeln lassen musst, aber nicht mit mir“, warf sie ihm vor und ging.
„Ich wusste es“, ärgerte sich Alejandro. Fußball gehöre nicht in einen Flirt, wusste er nun umso mehr. Weil sie tatsächlich sehr hübsch sei, werde er einfach einen neuen Versuch starten, aber nicht an einem Wochenende. Immerhin konnte er nun das 5:1 von 96 in Ruhe sehen. Ein paar Traumtore waren auch dabei.

Freitag, 5. September 2008

Chile auf dem Weg zur WM 2010


Ohne Bundesliga und Primera A muss dieses Wochenende verbracht werden, weil die Qualifikationsspiele zum Weltmeisterschaft ihren Platz beanspruchen. Fußballzwerge treffen dabei auf Riesen, wie im Falle Liechtenstein und Deutschland. Ein anderes David gegen Goliath-Duell ist auch Chile gegen Brasilien, wobei die Roten eher internationale Zweitligisten und keine Amateure sind.

Nach der skandalösen Copa America 2007, bei der die Andenkicker mehr durch Sauftouren als durch Torszenen auffielen, waren Reformen in der chilenischen Nationalmannschaft notwendig. Ex-Trainer Nelson Acosta hatte die Kontrolle über seine Spieler vollständig verloren und der Ruf der Nationalelf war komplett ruiniert, dabei verfügt Chile über hervorragende Individualisten. Alexis Sanchez, derzeit in den Diensten von Udinese Calcio, kann ganz alleine die Abwehrreihen ausdribbeln. Humberto Suazo hat im mexikanischen Monterrey seine Torjägerqualitäten erstaunlich verbessert. Auch Leverkusens Arturo Vidal ist im jungen Alter schon eine sichere Stütze in der Defensive. Bedauerlicherweise bleibt das Jahrhunderttalent Matías Fernandez in Villareal hinter den Erwartungen zurück. Bei Colo-Colo wirbelte er mit dem Enfant Terrible Jorge Valdivia über südamerikas Fußballplätze.

Jorge Valdivia steht zugleich symptomatisch für den chilenischen Fußball. Der ewig kaugummikauende „Mago“ verfügt ohne Zweifel über spielentscheidende Fähigkeiten, doch besitzt leider zuwenig Intelligenz außerhalb des Rasens. In der Skandalnacht von Maracaibo, als die Nationalspieler im Hotel betrunken mit Schinken und Marmelade um sich warfen, war er einer der Initiatoren. Valdivia wurde daraufhin vom Fußballverband ANFP gefeuert. In Brasilien blühte er anschließend wieder auf. Nachdem er den brasilianischen Klub Palmeiras zur Meisterschaft führte, jagten ihn die europäischen Vereine. Bayern München soll angeblich an ihm dran gewesen sein, auch Hertha BSC Berlin hatte ernsthafte Absichten, Valdivia war zuvor bereits in Spanien und in der Schweiz gescheitert und nahm ein Angebot aus den Vereinigten Arabischen Emiraten an.

Der ganz große Star der Mannschaft ist allerdings der Trainer. Marcelo Bielsa, einst argentischer Nationalcoach, soll Chile zur WM 2010 führen. Er gilt als Verrückter und Experte. Er hat es tatsächlich geschafft, den Kader zu disziplinieren, wenngleich er manchmal etwas verzweifelt wirkt. Der heimische Ligafußball ist in der Dauerkrise und alle Reformideen stoßen bei der ANFP auf taube Ohren. Bis heute hat es der Verband nicht geschafft, die Termine für eine professionelle Vorbereitung günstig zu legen. Immerhin erhält der Argentinier für chilenische Verhältnisse ein fürstliches Gehalt, weshalb die Eintrittskarten so teuer wie nie zuvor sind. Bielsa kann aber bereits kleinere Erfolge feiern. Die Mannschaft ist Dritter in der Qualifikation und hat in den ersten Spielen weitgehend überzeugt. Das Vertrauen in „La Roja“ ist zurückgekehrt, weshalb das Nationalstadion in Santiago bei allen Punktspielen ausverkauft sein wird.

Mittwoch, 3. September 2008

VfB Stuttgart - Hannover 96


“Haben Sie die deutschen Zeitungen bekommen?” fragt Rodrigo seine Sekretärin. „Ja, in der Paseo Ahumada gab es die Welt sowie eine Frankfurter“, antwortet Loreto mit dem Hinweis, dass die Blätter bereits zwei Tage alt seien. „Das ist schon in Ordnung. Danke!“ Auf die neuesten Neuigkeiten in der Finanzberater aus Santiago nicht angewiesen, weil Internet und Fernsehen ihn ausreichend versorgen. Rodrigo möchte nur in aller Ruhe die Wirtschaftsressorts durchstöbern, trotzdem wirft er als zunächst einen Blick in den Sportteil.

„Das darf nicht wahr sein“, ruft er entsetzt. „Ist etwas passiert?“, ist seine Sekretärin besorgt. „Ja, Hannover 96 hat schon wieder verloren.“ Die Partie in Stuttgart endete 2:0 für den VfB, aber ist deswegen so ein Theater nötig? Doch dann erinnert sich Loreto an das leidenschaftliche Fußballinteresse ihres Chefs. Regelmäßig geht er zu Universidad Católica und macht sogar früher Feierabend, wenn sein Lieblingsklub unter der Woche in der Copa Sudamericana antritt. Auch für die internationalen Ligen begeistert er sich. Ganz egal, ob es sich um Topteams oder Gurkentruppen handelt, Loretos Arbeitgeber weiß über vieles Bescheid. Weil er mal auf der Cebit war, hat er zu dem deutschen Verein seit seiner ersten Europareise eine Beziehung entwickelt, obwohl 96 kein Spitzenverein ist.
Allerdings verfolgt Rodrigo die Bundesliga nur unregelmäßig. „96 wird sowieso immer nur Elfter“, ist er überzeugt, was natürlich nicht stimmt, zuletzt waren die Niedersachsen Achter. Er hatte beim Aufschlagen der Zeitung „seine“ Roten selbstverständlich im Tabellenmittelfeld erwartet und ist deshalb so geschockt, sie ganz unten vorzufinden. „Sowas rauscht an mir derzeit völlig vorbei“, stellt er fest und ist in dem Moment gar nicht unglücklich über den Arbeitsstress. „Ach, Kopf hoch, Chef!“ versucht ihn Loreto zu motivieren. „Falls die Mannschaft lange im Abstiegskampf steht, sind Sie glücklich, wenn 96 am Ende noch 11. wird.“ Da hat meine Sekretärin auch wieder Recht, gesteht Rodrigo von der Theorie überzeugt und blättert zur Wirtschaftsseite.

Mittwoch, 27. August 2008

Hannover 96 - Energie Cottbus


“Hey Teacher, hast du mir am Freitag nicht erklärt, wie großartig Hannover 96 sei?“, fragte mich Jaime mit einem breiten Grinsen. Er hatte inzwischen auch von dem glanzlosen 0:0 gegen Ernergie Cottbus erfahren. Warum müssen eigentlich alle Bundesligaergebnisse in die Welt posaunt werden? Torlose Kicks der Roten sind doch wirklich kein Spektakel für den südamerikanischen Fernsehmarkt, trotzdem wurden Ausschnitte im Sportkanal gezeigt.

„Also, wie war das noch? Altin Lala is an albanian football player, Altin Lala is a great albanian football player“ Jaime hat zwar den Unterschied zwischen „an“ un „a“ anhand des Mittelfeldspielers wunderbar gelernt, trotzdem mochte er von dem leidigen Thema „Cottbus“ nicht loslassen. Während die Roten am Freitag das hannoversche Publikum verärgerten, hatte Jaime bei mir Englischunterricht. Er selbst ist treuer Anhänger von Huachipato und verfolgt auch gelegentlich die Bundesliga, sogar Hannover ist ihm ein Begriff. Bayern München und Bayer Leverkusen wirbelt er dagegen etwas durcheinander. Das kann allerdings in der Ferne wirklich etwas unverständlich sein. Wer weiß in Deutschland schon, dass Colo-Colo einst ein großer Indianerhäuptling war?
Anstatt via Internet die Glanztaten des 96-Wundersturms zu bewundern, musste ich mich zur Anstoßzeit zum 1896. Mal mit dem Thema „numbers and dates“ beschäftigen. Solche Lektionen nutze ich immer dazu, meine Schüler die Zahlen 96 und 1896 an die Tafel schreiben zu lassen oder vorzulesen. Als Beispieldatum wähle ich neben dem jeweils aktuellen natürlich Geburtstage sowie den April 12th, 1896 und den May 23rd, 1992. Jaime meisterte die Aufgaben problemlos, wunderte sich allerdings über die Jahrestage. Als er dann auf meiner Krawatte die 96 entdeckte, begann er zu lachen. „96 – das ist doch ein Fußballverein, oder?“
Ich erklärte ihm, dass ich jahrelang dem Verein hintergefahren bin und das Team in dem Moment ein Pflichtspiel hatte. Währenddessen schielte ich regelmäßig zu meiner Kollegin im Sprachlabor, die versprochen hatte nach einem Tor einen Ergebniszettel hochzuhalten. Ich hatte zuvor auf ihrem Computer den Liveticker eingestellt. Die menschliche Anzeigentafel blieb leider beschäftigungslos, wobei sie auch gar nicht auf den Bildschirm geschaut hatte, wie sie mir später gestand.
„Das kenne ich“, meinte Jaime. Er selbst musste am folgenden Tag für den Stahlkonzern Huachipato arbeiten, anstatt die Partie der Werkself von Huachipato gegen Palestino zu sehen. Seine Unterstützung fehlte und so gewann der schwarz-weiß-grün-rote Einwandererklub aus Santiago mit 2:1. Da konnte ich mit meinem 0:0 ganz zufrieden sein.

Donnerstag, 21. August 2008

96-Merchandising in Chile: Alkohol


Der Saisonauftakt hinterließ einen derben Beigeschmack. Wochenlang freuten sich die Fans auf das Ende der Sommerpause, um endlich wieder ihre Roten zu sehen. Man habe nun den besten 96-Sturm aller Zeiten, wurde in der Presse posaunt. Jan Schlaudraff, Mikael Forsell und Mike Hanke sollen fortan die Niedersachsen in den Europapokal schießen. Das Schalkespiel erweckte Zweifel an der Umsetzung der Zielvorgabe. Vorne zahm und in der Abwehr äußerst löchrig präsentierte sich 96. Das Resultat war ein 0:3 und ein letzter Platz.

Die chilenische Apotheken- und Drogeriekette Farmacias Ahumada (Fasa) hat daher einen ganz besonderen Merchandisingartikel auf den Markt gebracht: denaturierter Alkohol. Anders als bei der Konkurrenz von Cruz Verde und Salcobrand mit ihren schlaffen 95 Prozent, sorgt das Fasa-Produkt mit 96-Prozent für den richtigen Schwung bei misslungenen Eröffnungsparties und beschleunigt ein schnelles Vergessen von miserablen Kicks. Am Freitag ist das Mitschlusslicht Energie Cottbus zu Gast. Bleibt zu hoffen, dass kein 96-Fan zur chilenischen Flasche greifen muss.

Dienstag, 19. August 2008

Schalke 04 - Hannover 96


“Das kann doch nicht wahr sein.” Ein wenig verzweifelt steht Francisco vor dem Internetcafé. Fast jeden Tag sitzt er dort vor dem Monitor und surft im Netz herum, ausgerechnet heute sind die Türen geschlossen. „Alfonso hat bestimmt letzte Nacht zulange gefeiert“, überlegt Pancho, wie ihn die Freunde nennen. Es ist 9:25 Uhr, samstagfrüh wirkt selbst die Alameda etwas verschlafen. Die meisten Geschäfte an der zehnspurigen Straße haben noch nicht geöffnet und selbst der Verkehr ist etwas ruhiger. Lediglich die Busse rollen bereits durch Santiago.
„Wo bleibt er denn?“ fragt sich Pancho immer wieder und wünscht, dass sein Kumpel niemals den Mutterleib verlassen. Es ist die typisch chilenische Art des Fluchens und der potenzielle Kunde des Computerservices fühlt sich im Recht. Es ist inzwischen 9:38 Uhr. Viel zu spät, denn er möchte den Saisonauftakt von Hannover 96 gegen Schalke 04 verfolgen. „Die Roten führen bestimmt schon“ ist sich Pancho gewiss und geht weiter. In einer Seitenstraße entdeckt er eine Bar, die selbst zu früher Stunde mit Gästen gefüllt ist. „Vielleicht haben die einen Internetzugang?“ Nach einem flüchtigen Blick auf den Fernseher an der Wand traut er seinen Augen nicht mehr. Auf dem Bildschirm läuft tatsächlich ein Spiel aus der Bundesliga: Schalke 04 gegen Hannover 96. Pancho springt vor Freude. „Ach, deutschen Fußball zeigt der Sender doch immer“, klärt ihn der Wirt auf. „Das wusste ich gar nicht“, ist sein Gast überrascht. „Ich lass das nur laufen, weil die Premier League noch nicht angefangen hat“, meint der Hauherr eher desinteressiert.
Pancho dagegen ist vom Resultat entsetzt. Sein 96 liegt 0:2 zurück und scheint sich frühzeitig aufgegeben zu haben. Der Kommentartoren des Senders lästern über Altin Lala. Nach dem 3:0 für Schalke verlangen sie eine Namensänderung in Schalke 4:0 und rätseln, was die 96 zu bedeuten habe. Die Anzahl der Tore könne es nicht sein, da Hannover nichtmal eines schießen würde, behaupten sie.
Das restliche Publikum in dem Lokal hat sich längst vom Fernseher abgewendet. Es will lieber Leverkusen gegen Dortmund sehen, weil Arturo Vidal für Bayer aufläuft. Beim Umschalten wird der chilenische Nationalspieler gerade auswechselt. „Dann eben wieder Schalke“, murmelt der Wirt und zappt zurück, aber auch Pancho hat die Hoffnung verlassen. „Das wird heute nichts“, ist er enttäuscht und behält Recht. Freitag gibt es eine neue Chance und der Sender überträgt wieder direkt.

Montag, 11. August 2008

Fußball im Qualm der Kohle: Lota Schwager


Lota ist eine Stadt mit großer Bergbautradition in der VIII. Region. Der Abbau der Steinkohle ist inzwischen zu teuer, weshalb der Ort zusehend verarmt, zudem blieb ein erfolgreicher Strukturwandel bislang aus. Hin und wieder gelingt es dem Fußballverein Lota Schwager das gesamtchilenische Interesse zu wecken. Es ist eine Fahrstuhlmannschaft, die zurzeit in der Primera B mit Tuchfühlung zu den Aufstiegsplätzen steckt.

Das Estadio Federico Schwager, benannt nach dem verstorbenen Firmenpatron und Vereinsgründer, fasst 7000 Plätze. Das Stadiongelände ist nicht direkt in Lota, sondern in der Gemeinde Coronel, einem Vorort von Concepción. Es besteht aus zwei Stahltribünen sowie einer Fankurve aus Beton. Eingebettet in ein kleines Waldstück kann es schnell übersehen werden, da neben einem Zuschauerrang auch die Flutlichtmasten fehlen. Von einem Hügel aus lassen sich die Partien aber Gratis verfolgen, falls die Karten knapp werden sollten. In der Regel kommen 4000 Zuschauer.

Der harte Kern der lokalen "Hinchada" steht hinter dem Tor und lässt während der gesamten 90 Minuten einen Kohlekessel dampfen, aus dem auch gelegentlich Stichflammen entweichen. So werden die Zuschauer permanent an die Herkunft ihres Vereins erinnert, denn die Rußwolken ziehen bei günstigen Winden über das gesamte Areal. Da der schwarze Qualm ihrer Ansicht nach manchmal nicht ausreicht, werden zusätzlich rote Rauchbomben angezündet. Für die Sicht auf das Spielfeld ist der Nebel unbedeutend, in der zweiten chilenischen Liga hat der Fußball eher ein niedriges Niveau. Einige Minuten können problemlos verpasst werden.

Am Sonntag waren die Santiago Wanderers aus Valparaiso zu Gast in Lota. Die Grünweißen aus der Hafenstadt gehörten vor nicht allzu langer Zeit zu den besseren Teams des Landes und waren 2001 sogar Meister. Seit drei Jahren befindet sich das Team jedoch in einer Dauerkrise und kämpft momentan sogar um den Klassenerhalt in der Primera B. Der Anhang bleibt trotzdem treu. Heimspiele in Valparaiso sind dank des stimmgewaltigen Publikums immer noch besondere Erlebnisse und auch auswärts reisen für chilenische Verhältnisse viele Fans mit. Zu ihrem Leid gehören sie aber in der zweiten Liga zu den einzigen problematischen Hinchas, daher suchten sie in Lota vergeblich nach Ärger. Weil auf die Pöbeleien und Provokationen keiner der Zuschauer auf der Heimseite reagierte, feuerten sie lieber ihre Mannschaft an. Vergeblich, denn das Spiel endete 0:0.


Die Gegentribüne im Estadio Federico Schwager. In Lota möglich: mit dem Fahrrad ins Stadion.



Die Heimfankurve von Lota Schwager im Nebel
Blick auf die Haupttribüne.
Pro Fan eine Fahne: Santiago Wanderers.

Donnerstag, 7. August 2008

96-Merchandising in Chile: Cerveza Austral

Aus Punta Arenas, einer Stadt im tiefen Süden Chiles, stammt ein köstliches Bier: Austral. Dieser Merchandiseartikel wurde bereits in einer älteren Ausgabe des hannoverschen Fanzines Notbremse vorgestellt. Weil er seine Qualität bewahrt hat, bekommt er bei "Fußball von unten" ebenfalls seinen Platz.
Der Braumeister José Fischer hatte 1896 die "Cervecería La Patagona" gegründet und nach dem deutschen Reinheitsgebot Pils, Lager und andere Sorten hergestellt. Das Rezept hat sich auch in der Andenrepublik bewährt und Austral gehört zu den besten Bieren des Landes. Es ist herber als die Massenkonkurrenz Escudo und Cristal, vor allem aber verträglicher. Wer einmal in einer chilenische Kneipe seinen Durst löschen möchte, kann bedenkenlos zugreifen. Ein Kater bleibt aus.
Nicht nur der Inhalt, sondern auch die Verpackung zeugen für Qualität. Auf dem Etikett sind die Berge des Nationalparks "Torres del Paine" abgebildet. Passend für einen 96-Fanartikel sind die Farben in schwarz-weiß-grün gehalten, zur Veredelung wurde ein pokalsiegerliches Gold hinzugefügt. Austral preist sein Bier jedoch nicht mehr wie in der Vergangenheit mit "Tradición desde 1896", sondern mit "Fundada en 1896" an. Bei dem Alter ergibt sich die Tradition von selbst. Eine vielleicht pikante Randnotiz ist, dass die Region um Punta Arenas "Península de Brunswick" genannt wird.

Montag, 4. August 2008

Sommerpausenende


Die Wolken liegen über den Hügeln von Concepción. Es ist wieder einmal regnerisch, wie so oft in diesem Winter. Das himmlische Nass reinigt immerhin die Luft, die von den Holz- und Kohleöfen in den Häusern belastet wird. Zu großen Unternehmungen lädt das Wetter trotz des freien Tages leider nicht ein und so ist der Blick in das Fernsehprogramm eine Alternative. Werder Bremen gegen Hannover 96 zeigt der mexikanische Sender golTV zum wiederholten Male. Die Partie aus der letzten Saison sollte eigentlich in den Archiven des Senders gelöscht werden, war das Ergebnis doch kein Glanzpunkt hannoverscher Fußballhistorie. Der Sportkanalredaktion fehlt leider diese Erkenntnis und berichtet euphorisch über das offensive Spiel der Grünweißen.

Aufgrund mangelnder masoschistischer Leidensfreude bleibt die Flucht ins Internet. Auch dort fehlen interessante Neuigkeiten. Die Roten kämpfte auf Mallorca um die Goldene Ananas. Das chilenische Gegenstück zu solchen Sommerturnieren heißt Copa Gato, benannt nach einer äußerst fuseligen Weinsorte. Die Ergebnisse gegen Hertha BSC Berlin und den Gastgeber machen weder schlau noch dumm, sie verschwinden schnell in der Statistik. Zum Glück war am Wochenende sogar echter Fußball zu sehen. Die 3. Liga hatte in Deutschland gekickt und der mdr zeigte ein Livespiel. Das neue untere Unterhaus klingt jedoch nach Eintracht Braunschweig und nicht nach großer Showbühne. Begeisterung flackert bei dieser Division aus der Entfernung nicht auf.

Dafür gab es in der hiesigen Primera A recht abwechslungsreiche Partien. In Santiago fand der „Arm gegen Reich“-Clásico, Colo-Colo gegen Universidad Católica, statt. Die Mannschaft der Beserverdienenden gewann gegen den Rekordmeister mit 1:0. Spitzenreiter in der Clausura bleibt jedoch Universidad de Chile, die ihren Siegeszug fortsetzt und mit 3:1 Cobreloa besiegte. Die Vereine der VIII. Region verloren allesamt. Im Collao durfte eine Schlammschlacht zwischen Huachipato und den Rangers de Talca bewundert werden (1:2).

Alles in allem sind die Ergebnisse nur weitere Pausenfüller, um das Warten auf die neue Bundesligasaison zu verkürzen. Die EM-Euphorie ist längst verflogen und den chilenischen Ergebnissen fehlt aufgrund des Play Off-Systems die wirkliche Brisanz. Selbst der Tabellenachte kann am Ende Meister werden. Nächsten Samstag ist es jedoch endlich soweit. Im DFB-Pokal trifft 96 auf Halle. Das Leben bekommt seinen Sinn zurück.

Freitag, 1. August 2008

Der neue 96-Star

Fußball von unten ist in Chile immer auf der Suche nach Stars und Sternchen. Bislang hat die Redaktion nur Spongebobs Kumpel Patrick entdeckt.

Mittwoch, 30. Juli 2008

Hannover ohne 96


Hannover ohne 96 ist kaum vorstellbar. Die Zahl gehört zu der Stadt. In Santiago werden Fans auch nach langer Suche "Hannover 96" nicht finden. So gibt es im Bezirk Ñuñoa eine Straße mit dem schönen Namen der niedersächsischen Landeshauptstadt, doch die Hausnummern fangen im 5000er Bereich an. Selbst eine 1896 ist zu klein, obwohl die Allee nur ca. 300 Meter lang ist. Das liegt an der eigentümlichen Adressierung in der chilenischen Metropole, die wie ein Planquadrat angelegt ist. Die Hauptstraßen eines Viertels geben die Nummerierungen vor und werden nach Blöcken eingeteilt, beginnend bei 0-99, worauf 100-199 folgen und schließlich bei 6000 endet. Weil aber nicht alle Ziffern genutzt werden, übernehmen die parallel verlaufenden Gassen die übrigebliebenden. Da sich Hannover am Ende der "Avenida Irarrazaval" befindet, ist "5000" das erste Haus vor Ort.
Übrigens sind Bremen und Hamburgo ganz in der Nähe. Sogar Peine gibt es, allerdings in Quilicura, was eine Busstunde von Ñuñoa entfernt ist. Eine Begegnung mit Braunschweig, Brunsviga und anderen Versionen ist nicht zu befürchten.

Montag, 28. Juli 2008

Ideal für Groundhopper: das Estadio Collao

Vor einem Kassenhäuschen tummeln sich weltweit allerlei schräge Vögel. Ob Hooligan, Ultra, Kutte etc. - alle müssen warten. Das kann lustig, aber auch extrem nervig sein. Hühner, Fasane und Gänse gehören eigentlich nicht zur üblichen Klientel von Kartenkäufern. Vor dem Estadio Municipal de Concepción reihen sich die Tiere trotzdem in die Warteschlange ein, wenn der Vorplatz hauptsächlich für den Wochenmarkt genutzt wird. Das Geflügel rennt an solchen Tagen zwischen den Fußballfans umher und sein Besitzer hat alle Mühe sein Kapital wieder einzufangen.
Das Collao, wie die Sportstätte im Volksmund heißt, hat die ideale Anbindung für vielreisende Groundhopper. Das Busterminal befindet sich direkt gegenüber. Stadtbesuche in Concepción werden dadurch überflüssig, falls man nur ein Spiel sehen möchte. Bei den so genannten Risikopartien der jeweiligen Gastgeber gegen Colo-Colo und Universidad de Chile verkaufen allerdings die Kneipen im Viertel kein Bier, so dass der Durst erst ein paar Blöcke weiter gestillt werden kann.
Das Stadion fasst 35.000 Zuschauer, es wurde 1962 eröffnet und ist für chilenische Verhältnisse in einem guten Zustand. Die Fans verteilen sich normalerweise auf den Oberrängen der Haupt- bzw. Gegentribüne. Bei den Begegnungen der Heimatvereine Deportes Concepción, Fernandez Vial und Universidad de Concepción bleibt eine davon in der Regel leer. Auswärtsfans bringen die meisten Mannschaften nur sehr wenige mit, Ausnahmen sind die Klubs aus Santiago sowie die Teams aus den Nachbarorten Talcahuano, Lota und Chillán.
Die Kurven hinter den Toren haben nur einen Rang, gewähren aber einen schönen Blick in die Natur, falls das Geschehen auf dem Rasen zu sehr langweilt. Leider hat das Collao keine Überdachung, obwohl es am Bío-Bío Fluss ziemlich häufig regnet. Es gibt Pläne, die Schalker Fußballarena zu kopieren. Angeblich existieren Kooperationsverträge mit dem Bundesligisten, doch die finanzielle Situation der Provinzhauptstadt erlaubt einen solchen Bau auch in den nächsten Jahrzehnten nicht. Deportes Concepción wurde gerade wegen fehlender Zahlungen die Lizenz entzogen.
Das Collao ist das größte Stadion der VIII. Region, daher nutzen es Lota Schwager, Huachipato und Ñublense als Ausweichort, vor allem, wenn der Rekordmeister Colo-Colo Gegner ist. Am Sonntag traf die Riege auf Ñublense, dem Überraschungsteam der vergangenen Saison. Etwa 15.000 Zuschauer waren im Stadion, die Mehrheit gehörte dem Anhang des ehemaligen Arbeitgebers von Arturo Vidal. Ñublense ist allerdings einer der populärsten Vereine Chiles und hatte ebenfalls viele Fans mitgebracht. Die eigentliche Heimatstadt der roten Teufel ist Chillán und liegt eine Autostunde von Concepción entfernt. Die 90 Minuten waren abseits des Platzes weitaus interessanter als auf dem Rasen, da tagelange Regenfälle das Spielfeld aufgeweicht hatten. Colo-Colo gewann mit 2:1 und auf den Tribünen gab es ein Unentschieden, lieferten sich beide Seiten doch sich ein stimmungsvolles Gesangduell. Fußballreisende sollten eine Partie von Ñublense mit in ihre Planungen aufnehmen.
Fanartikelverkauf in einer Zufahrtsstraße.
Leere Südkurve im Collao
Intro der Rediablos beim Einlauf von Ñublense.
Sicht auf den Anhang von Colo-Colo.
Bei allen Spielen von Colo-Colo dabei: die Garra Blanca.

Eine ebenfalls leere Kurve im Norden.

Freitag, 25. Juli 2008

96-Merchandising in Chile ... Trikots!


“Kommst du jetzt mit? Wir wollen doch in die Mall“, fordert mich meine Frau am Freitagnachmittag auf. Wollen? Naja, besser gesagt, müssen. Die Einkaufszentren gehören nicht gerade zu meinen favorisierten Orten, aber wir haben wirklich einige Einkäufe für den kommenden Nachwuchs zu erledigen, weshalb ich mich nicht wehre. Mit dem Sammeltaxi fahren wir zur „Plaza Trebol“, einem Shoppingparadies zwischen Talcahuano und Concepción, das all den anderen Konsumtempeln in Chile wie ein Klon gleicht. Am Eingang gibt es eine Art englischen Pub und eine Sportbar, unter dem Dach reihen sich die Markenläden sowie Kaufhäuser aneinander: Almacena Paris, Ripley, Fallabella etc.. Alles ist blitzsauber und steril, ich bevorzuge eigentlich lebendige Innenstädte.
Nur flüchtig werfe ich einen Blick in das Diadora-Geschäft, doch plötzlich beginnt mein Herz zu rasen. Was ich sehe, kann ich kaum fassen: 96-Trikots hängen tatsächlich strahlend neben denen von Huachipato und Union Española. Ich muss da rein! Als miserable Recherche entpuppt sich mein Blogartikel über die fehlenden 96-Jerseys in Chile heraus, doch das ist nun egal. Zielstrebig gehe ich auf die Hemden mit dem Tuifly-Schriftzug zu, während sich die Verkäuferin über meine nicht zu verbergende Euphorie wundert. Meine Frau erklärt ihr, dass es sich um Merchandising meines Lieblingsvereins handele und ich niemals mit dem Verkauf dieser Produkte in Chile gerechnet hätte. „Die führen wir seit zwei Wochen“, meint die Händlerin. Am anderen Ende der Welt verscherbelt Diadora also seine Restbestände und ich greife natürlich zu. Seit zwei Jahren habe ich keine 96-Trikots in einem Laden gesehen. Ein bewegender Moment.
„Wer kauft denn in Talcahuano etwas von Hannover 96?“, frage ich. „Ach, gar nicht so wenige. Den Kunden gefällt das Design“, erwidert die Dame an der Kasse und will wissen, was das für ein Team sei. Ich halte einen Kurzvortrag über die Einzigartigkeit dieser Mannschaft und erzähle ihr, 96 sei bereits zweimal Meister sowie einmal Pokalsieger gewesen. Sie erfährt, dass ich jahrelang eine Dauerkarte besaß und früher sogar im Europacup auswärts mit dabeigewesen war. Die unwichtigen Details spare ich aus. Nachdem ich ihr die nötigsten Daten und Fakten über die Roten erläutert habe, bremst mich meine Frau. Sie befürchtet einen weiteren stundenlangen Monolog und drängt mich zum Weitergehen. Die Verkäuferin bedankt sich jedoch für diesen lehrreichen Moment, weil sie jetzt die Klienten besser beraten könne. Natürlich verspricht sie, sich ab sofort für 96 zu interessieren. Ich glaube ihr und verlasse ein Trikot reicher das Geschäft.

Donnerstag, 24. Juli 2008

Die Geliebte


Die Leidenschaft für einen Fußballverein ist bei vielen Menschen eine lebenslängliche Verbindung. Während sich Partner, Freundschaften, Wohnorte und diverse andere wichtige Punkte gelegentlich ändern, bleibt der Lieblingsklub stets derselbe. „Einmal Roter, immer Roter“ ist ein typisches Fanmotto, etwas abgenutzt, trotzdem mit viel Wahrheit verbunden. Seinen Verein wechselt man dem Kindesalter entwachsen nicht mehr. Manchmal verhindert der Alltag, dass 96 einziger Lebensmittelpunkt bleibt. Andere Dinge wie Familie, Arbeit oder sogar neue Hobbys nehmen plötzlich samstags 15:30 Uhr ihren Platz ein. Ist es allerdings möglich, dass ein Fanherz nebenbei für einen anderen Verein schlägt? Kann die Sympathie für ein Team wie eine Geliebte parallel zur Hauptbeziehung Hannover 96 existieren?

Bei mir verhindert der Umzug nach Santiago de Chile Besuche bei Hannover 96. Internet und Sportkanäle im TV sei Dank kann ich den Lauf der Roten aus der Ferne verfolgen. Fernsehfußball allein macht einen langjährigen Stadiongänger nicht glücklich und so habe ich mir anfangs in Santiago alle möglichen Partien angeguckt, wobei mir die Vereine egal waren. Was hatte ich schon mit Colo-Colo, Union Espanola, Universidad Católica (UC) sowie den ganzen anderen Teams zu tun? Mich faszinierte die Stimmung auf den Rängen und bei schönen Spielen gab es für jede Mannschaft Beifall. Matías Fernandez zauberte bei Colo-Colo, Catolíca wurde Meister und erreichte das Semifinale der Copa Sudamericana, aber nur einen Steinwurf von meiner Haustür entfernt begann eine ausgerechnet blaue Equipe mein Interesse zu wecken: La Universidad de Chile (La U).

Die „Chunchos“ (Kauze), wie sie in Chile wegen der Eule im Wappen genannt werden, sind eigentlich tragische Verlierer. Während meiner Zeit in Santiago waren sie zweimal ganz nah am Titel dran und scheiterten jeweils im Elfmeterschießen. Für einen internationalen Wettbewerb qualifizierten sie sich nicht, weil die entscheidenen Punkte in der Liga verschenkten und der Verein stand kurz vor dem Bankrott. Inzwischen ist der Klub eine Aktiengesellschaft, was zwar das Konto ein bisschen gefüllt hat, aber auf dem Platz nicht zu sehen ist. Die Fans kommen für chilenische Verhältnisse treu in Scharen und leiden wie gewohnt mit. Mehr als der Erzrivale Colo-Colo ist La U das Team der Santiaguinos. Während der Rekordmeister im ganzen Land seine Anhänger hat, sind die Blauen vor allem in der Hauptstadt beliebt.

Dass La U mehr und mehr mein Verein wurde, entwickelte sich langsam. In dem viel zu großem Estadio Nacional fühlte ich mich an das alte Niedersachsenstadion erinnert. Eine Kurve war meist menschenleer, die andere gut gefüllt. Die „Los de Abajo“ aus Block 16 sangen untentwegt, weshalb sich die Melodien leicht in meinem Gehör festsaßen. Die Texte lernte ich schnell. In Diskussionen über chilenischen Fußball ergriff ich zunehmend Partei für La U, weshalb die Bekannten meine bis dahin unterdrückte Zuneigung zuerst entdeckten: "Du bist ja ein Chuncho." Eines Tages begann ich in der Kurve mitzuklatschen und bei Toren wie „früher“ in Hannover zu jubeln. Niederlagen waren mir plötzlich nicht mehr egal und mein Terminkalender wurde nach den Blauen ausgerichtet. Ein Freund schenkte mir ein Trikot, ein anderer einen Schal und für die Nachbarn war ich nicht mehr nur der Aleman, sondern auch der Chuncho: ich hatte mein Team gefunden.

Inzwischen wohne ich nicht mehr in Santiago, doch vor dem Umzug nach Concepción galt mein erster Blick dem Spielplan. Wann kommen die Blauen in meine neue Stadt? Dieses Jahr vielleicht gar nicht mehr und so muss ich hoffen, dass sie in den Playoffs auf ein Team aus der Region treffen. Fahrten zu den Heimspielen sind aufgrund der Arbeitszeiten und privater Verpflichtungen schwierig. Anders als bei 96 kann ich jedoch die Spiele immer noch seelenruhig verpassen, es reicht in Blick in die Zeitung. Auf Stadionbesuche muss ich am Bio-Bio Fluss natürlich nicht verzichten. Es gibt sechs Vereine in der Primera A und B, die in der Nähe kicken. Einer ist allerdings blaugelb. Da ist ein Flirt ausgeschlossen.

Mittwoch, 23. Juli 2008

Chile für 96 (oder doch nicht?)


Unermüdlich versuche ich mich meinem Umfeld beizubringen, was für ein sensationeller Fußballklub Hannover 96 ist. Ich trage so oft es geht Trikots und T-Shirts der Roten, selbst die Krawatte bei der Arbeit ziert das Vereinswappen. Inzwischen verfolgen die Freunde die Bundesliga und tragen sich bei Facebook als 96-Fans ein. Hannovers Bundesligist wird langsam ein Begriff in Chile, doch der Graffitikünstler in der Avenida Matta in Santiago hatte etwas missverstanden. Eigentlich müsste es doch "Viva el 96" heißen, aber vielleicht war das Sprühwerk kein Ausbruch überschwenglicher Fußballbegeisterung.

Chile für 96 (Folge 3)


Gesehen in Recoleta, Santiago:
Das ist nur eine optische Täuschung. Blau und Gelb vermischt ergeben ein stilvolles Grün. Schwarz und Weiß muss sich der verwirrte Geist dazudenken.

Montag, 21. Juli 2008

Eintrittskarten (2) - Clásico in Talcahuano

Galeria steht auf dem Papier. In den meisten Stadien gewährt diese Kategorie Einlass zur Stehkurve, bei dem Lokalderby zwischen Huachipato und Universidad de Concepción war es ein Tribünenticket. Offizielle Ränge gibt oder besser gab es hinter den Toren des Estadio Las Higueras nicht. Es war die letzte Partie im traditionsreichen Stadion, das nun einem Neubau weichen wird.
Für ein historisches Dokument ist die Karte ein wenig blass. Der schwarze Balken am oberen Rand könnte als Trauerflor interpretiert werden, die Sterne im Hintergrund wurden dem Vereinswappen entnommen. Selbiges prangt rechts oben in voller Pracht. Es erinnert an das Logo der Pittsburgh Steelers, einem amerikanischem Footballteam. Eine gewollte Ähnlichkeit, denn Huachipato ist die Mannschaft des örtlichen Stahlwerks.
Anders als die Billets der Vorverkaufsagenturen ist dieses persönlicher. Alle nötigen Informationen wie Gegner, Meisterschaft und Eintrittspreis werden gegeben, auch eine Ankündigung für den neuen Fußballtempel, das Estadio Cap, befindet sich rechts unten, jedoch kein Hinweis auf das Adios der Heimstätte der Blauschwarzen Talcahuano. Auf den Nachfolger dürfen Fußballfreunde gespannt sein, alle Ränge werden überdacht sein und es wird 12.000 Personen Platz bieten.
Der Clásico war am Samstag schwach besucht. Etwa 7.000 Zuschauer sagten dem „Las Higueras“ Adios und sahen ein farbloses 1:1. Die Stimmung war durchwachsen, weil auch La U de Conce nur über einen sehr kleinen Anhang verfügt. Etwa 200-300 Hinchas von Huachipato sparten sich das Geld, indem sie vom angrenzenden Hügel das Spiel verfolgten. Dort oben auf dem Berg ging es jedoch zu wie in einer Fankurve. „Los del Cerro“ nannten sie sich laut Klubfahne und weil keiner die Taschen kontrollierte, gab es auch viel Feuerwerk. Für Chile ungewöhnlich war dagegen das friedliche Nebeneinander in den Blöcken. Lediglich der Schiedsrichter bekam nach dem Abpfiff wegen fragwürdiger Entscheidungen den Unmut der Hausherren zu spüren.
Los del Cerro machen in der inoffiziellen Fankurve Stimmung.
" Pocos pero locos" - wenige aber verrückte: Die Barras Bravas von Huachipato.
Wer mag schon blau-gelb? Die Hinchas der U. de Conce kamen zusammen im selben Stadtbus.

Sonntag, 20. Juli 2008

Eine weitere Saisonvorschau


“Ja, ja! Ich komme schon” Pedro ging vom Klingeln genervt zur Tür. Er hatte sich zuvor für eine ausgiebige Siesta hingelegt und konnte Störenfriede nicht gebrauchen. Er wollte lieber schlafen anstatt irgendwelche Vertreter abzuwimmeln. Beim Öffnen änderte sich seine schlechte Laune schlagartig, da ihn weder ein Postboten noch ein Elektriker, sondern Marcella erwartete.

„Das ist eine schöne Überraschung. Komm doch rein“, freute sich Pedro. Die Frau vor dem Hauseingang erklärte, sie wäre gerade in der Nähe gewesen. Das war ein bisschen geschwindelt, denn die Besucherin hatte zuvor seine Adresse herausgefunden, weshalb sie ihren Sonntagsspaziergang gezielt in Richtung ihres Freundes legte. Marcella suchte etwas Abwechslung und erinnerte sich an das Treffen am Meer. Mit Pedro, ihrem Nachbarn aus Jugendzeiten, konnte sie sich gut unterhalten. Sie war glücklich, ihn wiederentdeckt zu haben und wollte dem Kontakt wieder neues Leben einhauchen. Früher waren sie fast wie Bruder und Schwester, so nahe standen sie sich, dann hatten sie sich jahrelang nicht mehr gesehen.

Wie in alten alten Tagen konnte Marcella ihre Sorgen nicht verbergen, hatte sie doch nicht ihren besten Moment erwischt, was Pedro schnell bemerkte: „Du stehst irgendwie neben dir, ist was passiert?“ Eigentlich nicht, erklärte Marcella. Sie habe sich mal wieder mit dem Vater ihrer Tochter gestritten. Der Ärger war groß: „Er verweigert nun sei mehreren Monaten jegliche Unterhaltszahlungen für Alicia und kümmere sich überhaupt nicht um sie.“ Dabei war besonders Marcella auf seine Hilfe angewiesen, denn der Job und der Haushalt gaben ihr kaum Platz für ein Privatleben. Geld war sowieso immer zu knapp vorhanden. „Finanzielle Probleme sind alltäglich“, stimmte Pedro ein.

„Aber dir scheint es doch recht gut zu gehen“ meinte sein Gast ein bisschen frech, nachdem Marcella sich in der Wohnung etwas umgesehen hatte. „Ja, mittlerweile schon“ gab der Hausherr mit gewissem Stolz zu. Sein Apartment war für die Bleibe eines chilenischen Junggesellens äußerst geschmackvoll eingerichtet. Antike und moderne Möbel passten perfekt zueinander. Sie war außerdem selbst beim Überraschungsbesuch aufgeräumt. Marcella fiel sofort die Sammlung diverser Fußballsouvenirs aus aller Welt auf: eine Stehlampe von den Santiago Wanderers, ein Benfica Lissabon-Wimpel, ein Bierglas mit dem Dynamo Houston Emblem, sowie zahlreicher anderer Kleinkram, vieles in schwarz, weiß und grün. „Und? Ist da auch auch was von Hannover 96 dabei?“, wollte sie wissen. „Sicher“, Pedro zeigte sofort auf die Feldschlösschendose mit den eingravierten Unterschriften, ein Andenken aus den 80er Jahren. „Schade, dass die schon leer ist. Alkohol würde mich heute aufmuntern.“ An berauschenden Getränken fehlte es allerdings nicht. Pedro hatte eine kleine Hausbar und bot ihr einen Pisco Sour an.

Er verschwand in der Küche und kam mit zwei Gläsern wieder. In den landestypischen Cocktail malte er mit etwas Sirup eine 96 in den Schaum. „Hey, das sieht richtig gut aus“ zeigte sich Marcella begeistert, als sie das Glas entgegen nahm. „Bei dir ist es sehr gemütlich. Hier werde ich häufiger vorbeischauen.“ Pedro gefiel diese Ankündigung, hatte er bereits beim letzten Treffen auf ein schnelles Wiedersehen gehofft: „Wir wollten doch die Spiele zusammen angucken.“ „Na, das werden wir auch und dabei viele Siege feiern“, wurde ihm daraufhin charmant lächelnd versprochen.

Die erste Vorschau unter:

Donnerstag, 17. Juli 2008

96-Merchandising in Chile (Folge 2)


Licores 96? Das Zeug muss ja schmecken”, dachte ich mir, als ich die bauchige Flasche mit dem einzigartigem Namen im Spirituosenhandel entdeckte. Natürlich griff ich sofort zu, denn die Zahl war die beste Werbung für ein Produkt und ein Kirschlikör passte hervorragend in meine unsortierte Hausbar.
Da steht er nun auch seit einer Weile und neigt sich langsam dem Ende zu. Euphorisch runtergestürzt habe ich das Schnäpschen nur beim ersten Mal, das Produkt des Weinproduzenten „Concha y Toro“ ist einfach zu süß. Der Kirschgeschmack wirkt ein wenig künstlich, obwohl laut Artikelbeschreibung nur die besten Früchte der Region bei Curicó verwendet wurden. Das traditionelle Herstellungsverfahren sorgte auch bei meiner Flasche für das sanfte Aroma, 25 Prozent Alkohol sind in der Tat recht mild für eine chilenische Spirituose. Das Nationalgetränk Pisco fängt bei 35 Grad erst an.
Verlockender als der Inhalt ist eigentlich das Etikett, das eine geschwungene 96 in einem Oval ziert. Ähnlichkeiten mit dem Vereinswappen des Bundesligisten dürften vom Grafikdesigner gewollt sein. Das Logo wirkt wie die VIP-Variante der hannoverschen 96, edel kommen die rotbraunen Ziffern auf dem cremefarbenen Hintergrund daher. Weinimporteure sollten bei Concha y Toro nachfragen, ob der Likör demnächst auf der Osttribüne des Niedersachsenstadions die Stimmung anheben könne.
Einen Einfluss auf den Spielverlauf habe ich bei meiner Recherche nicht ausgemacht. Die Ergebnisse der Roten waren nach Genuss absolut unterschiedlich. Sieg, Niederlage und Remis: alles war in der letzten Saison dabei. Am besten schmeckt ein Gläschen nach dem Essen und ein Blickfang ist die Flasche auf einer rauschenden 96-Party sowieso. Solche Feste sind in Chile allerdings eher selten.

Mittwoch, 16. Juli 2008

Clásicos in Chile


Lateinamerikanischer Fußball wird allgemein als trickreich und leidenschaftlich beschrieben. Die Stars in den europäischen Topteams vermitteln dieses Bild, die Realität ist leider etwas grauer. Miese Kicks sind unvermeidbar und die Stimmung in den Stadien ist ebenso kein permanentes Feuerwerk, dennoch müssen auch im Süden der Welt die TV-Kanäle die Wahre Fußball möglichst spektakulär verkaufen. Die Fernsehkommentatoren haben daher eine besondere Beziehung zur Übertreibung entwickelt. Möglichst jede Begegnung wird zum Clásico hochgejubelt, die Aufeinandertreffen der beliebstesten Mannschaften des jeweiligen Landes sind sogar Superclásicos.
Wer will, kann rund um die Uhr Reportagen über das Thema, Shows mit Profikickern und natürlich diverse Partien sehen. Latino-Pendants zum DSF-Doppelpass gibt es täglich zu bewundern und der Zuschauer fragt sich, woher die ganzen Themen stammen. Bevor in Argentinien die Boca Juniors gegen River Plate auflaufen, zeigen Fox Sports und die Konkurrenz zwei Wochen lang als Vorgeschmack alle Tore, Fouls, Freistöße, Auswechslungen, Einwürfe, Abstöße und Ecken der vergangenen 1896 Spiele. Bei der Überflutung der Bilder geht schnell der Überblick verloren, wann überhaupt die aktuellen 90 Minuten übertragen werden, zumal nach dem Abpfiff die Analysen und Vergleiche mit den vorherigen Superclásicos beginnen.
Auch Chile hat seinen Superclásico zwischen dem Rekordmeister Colo-Colo und La Universidad de Chile. Auch im Vorfeld dieses Spektakels überschlagen sich die Medien mit Meldungen über jede noch so kleine Unwichtigkeit der beiden Mannschaften. Der Vergleich der beiden populärsten Vereine des Landes ist der einzige wirklich große Zuschauermagnet in der kränkelnden Liga, ausverkauftes Haus und Millionen vor den Bildschirmen sind garantiert. Am 18. Oktober steht der nächste Vergleich an.
Doch die Liga besteht nicht nur aus den beiden Dauerrivalen, sondern auch aus ziemlich grauen Mäusen wie O’Higgins, Audax Italiano, Coquimbo, Puerto Montt. Der Zuspruch ist gering, dennoch muss das Fernsehen das Interesse wecken. Paarungen von Audax Italiano gegen Palestino oder Union Española werden dann kurzerhand zu Clásicos der Kolonien ernannt. Im Stadion verlaufen sich dann trotzdem nur 2000-3000 Zuschauer. Die Teams der Kupferminenarbeiter von Cobresal und Cobrela treffen im Clásico del Cobre del Norte aufeinander, dem Rest des Landes ist es ziemlich egal.
Vielmehr als das einheimische Gekicke zeigen die TV-Sender Fußball aus Europa, wobei keineswegs nur die Topduelle von Real Madrid, Barcelona, Chelsea oder Bayern München gezeigt werden. Manchmal flimmert 96 ohne die Münchner über den Bildschirm und muss den potenziellen Zuschauern schmackhaft gemacht werden. Das Heimspiel gegen Wolfsburg wird deshalb zum Clásico de la Region Baja-Saxonia ernannt. Es sei den Reportern verziehen den Erzrivalen der Roten nicht zu kennen.
Am Samstagnachmittag findet im Stadion „Las Higueras“ ein „Clásico Penquista“ statt: Huachipato aus Talcahuano trifft auf Universidad de Concepción. Es ist ein Nachbarschafftsduell, doch Huachipatos wahre Spezies dürfen derzeit weder kicken, weil Deportes Concepción die Lizenz entzogen wurde, oder sind wie Fernandez Vial in der zweiten Liga. Der Universitätsverein ist daher nur ein etwas attraktiverer Gegner und 7.000 Zuschauer werden erwartet.