Donnerstag, 29. Juli 2010

Salas - die Geschichte einer Heimkehr in die Fremde



Teil 1 - Der Name

„Wozu habe ich eigentlich meinen bürgerlichen Namen?“ fragte sich Salas häufiger. In seinem Pass steht, er heiße José Gerd Gonzales Müller. Eine perfekte Mischung zweier Allerweltsnamen der Kulturkreise seiner Eltern: José Gonzales und Gerd Müller. Doch, wenn der 38-Jährige zurückblickte, wurde er eigentlich nie so genannt. Seine Eltern riefen ihn immer nur „Chico“ oder „Cariño“. Für die Freunde war er nur der Chileno und seine Lehrer in Hannover fanden es besonders geistreich ihn mit den Namen berühmter Landsleute zu adeln. So war er nach einer passablen Deutschklausur immer Pablo Neruda und im Sportunterricht musste er sich an Caszely gewöhnen, weil er wie der schnauzbärtige Nationalheld entscheidende Elfmeter verschoss. Regte er sich mal auf, hieß es: „Bleib ruhig, Pinochet“. Das war zum Glück selten und als er sich zur Wahl der Schülervertretung aufstellen ließ, entwarfen meine Klassenkameraden ein Plakat: „Allende vive“, jedoch mit seinem Konterfei.

Caszely fand er schon in Ordnung, aber das konnte niemand schreiben und so wurde er in den 90er Jahren zu Salas. Seine Freunde aus der Fußballmannschaft hatten ihn nach dem chilenischen Torjäger getauft, weil er José ebenfalls ein guter Stürmer ist. „Hey Salas, das war ein Riesenspiel von dir“, lobte ihn sein Coach nach einer unvergesslichen Partie. Er war neu im Team und hatte den Gegner mit fünf Treffern im Alleingang besiegt. Die anderen fragten gar nicht mehr nach, ob er wirklich Salas hieße. Er war es fortan.

„Ich bin mir übrigens sicher, dass ich es mit dem richtigen Training mindestens in die Regionalliga geschafft hätte,“, war Salas von sich überzeugt. Leider opferte er jedoch bereits in jungen Jahren sein Talent langen Diskonächten und sehr kurzen Dauerläufen. Es reichte daher nur für die Bezirksklasse und einige Bolzplätze nahe der Universität.

Salas war auch so zufrieden „Den Spitznamen wegen Marcelo Salas zu bekommen, ist nicht das schlechteste.“ Eine große Auswahl hatten seine Mannschaftskameraden nicht, sie kannten sonst nur Ivan Zamorano. Nach einer Weile stellte er sich sogar selbst als Salas vor und vergas José. „Selbst meine Mutter rief mich nur noch Salas. Hätte der Matador bereits in den siebziger Jahren gespielt, hätte sie mich nach ihm getauft. So konnte jedoch mein Vater seinen geliebten Gerd Müller durchsetzen. Mir gelang das nie.“, erinnerte er sich. Wenn ihn jemand nach meinem Namen fragte und er Gerd Müller antwortete, lachten alle nur. Er belies es in der Schule daher bei José Gonzales: „Wie der „Bomber der Nation“ sah ich wirklich nicht aus.“ Sein Vater hatte ihm als Geschenk an die Damenwelt seine blauen Augen vererbt, aber der Rest seines Körpers war durch und durch Latino. Sein Glück: „Von den Frauen wird das sehr wohlwollend wahrgenommen.“

José mochte den echten Marcelo Salas, als er bei Lazio Rom, River Plate, Juventus Turin und natürlich Universidad de Chile seine Tore geschossen hatte. Irgendwann begann er sogar seinen Torjubel, indem er auf dem Boden niederknieend mit den rechten Zeigefinger zum Himmel zeigt, zu imitieren. „Logisch, dass ich diverse Trikots mit seinem Namen besitze,“ erzählt er stolz. Eine Freundin hatte mir sogar Salas auf ein Shirt von Hannover 96 drucken lassen. Das passe so gut zu mir, war sie überzeugt. Recht hatte sie. „Ich liebe dieses Hemd. Hannover 96 ist mein Verein und ich bin Salas.“
Und das ist seine Geschichte. (Teil 2 folgt am nächsten Freitag.)

Dienstag, 27. Juli 2010

Colo-Colo spielt Fußball mit Möwen in Concepcion


Die Bundesligapause dauert an und die Wochenenden sind daher etwas unausgefüllt. Es gibt keinen Torjubel am Morgen und auch die verärgerten Tritte gegen den Schreibtisch bleiben aus. Einem Samstag fehlt etwas, wenn 96 nicht spielt. Testspielergebnisse gegen unterklassige Riegen sind aus der Ferne kein Ersatz.
Immerhin kehren Chiles Profikicker in den Spieltbetrieb zurück. Bei winterlichen Grau schaue ich die Partie zwischen Universidad de Concepción und Colo-Colo an. Wer Stadionbesuche nach guter alter Art mag, ist bei solchen Kicks richtig aufgehoben. Bei Regen schützt kein Dach. Halbzeitshows gibt es nicht. Lediglich die Möwen sorgen für ein Rahmenprogramm. Etwa 96 Tiere umkreisen das Spielfeld und die Tribünen. Die Nähe zum Meer ist erkennbar. Abgesehen von der örtlichen Tierwelt gibt es Fußball pur.
Die Ränge sind gut gefüllt, wenn Colo-Colo in die Provinz reist, so auch in diesem Spiel. Knapp 13.000 Zuschauer sind im Estadio Collao, gut 12.500 sind Anhänger der Gastmannschaft. U de Conce ist zwar der einzige Erstligist der Stadt, aber ein Verein ohne Fans. Die Traditionsriegen von Depórtes und Fernandez Vial dümpeln in der zweiten bzw. dritten Liga herum. Sie haben trotzdem mehr Zuspruch.

Ich setze mich unter die zahleichen Fans der Weißschwarzen. Die meisten von ihnen kommen nicht aus Santiago, sondern aus dem Großraum Concepción. „Coco-Colo ist Chile“, behaupten sie und haben wahrscheinlich recht. Der Rekordmeister hat im ganzen Land seine Sympathisanten. An diesem Nachmittag entfacht seine Elf jedoch keine Euphorie. Ideenlos agiert sie auf dem Platz. „Furchtbar langweilig“, sage ich zu meinem Nachbar, der längst begonnen hatte per Telefon im Internet nach Ablenkung zu suchen. „Ja, das ist wahr“, stimmt er mir zu und schiebt die Schuld auf alle Beteiligten: Der Trainer, die Spieler, der Vorstand, der Rasen, das Publikum. Das ist wohl in allen Stadien dieser Welt gleich.
Der enttäuschte Colocolino schaut mich an: „Du bist kein Chilene, oder?“ Ich leiere meine Standardantworten herunter, denn ich kenne die Fragen schon: Was machst du hier? Gefällt es dir? Wie lange bist du hier? Er entdeckt meinen 96-Schal. „Ist das dein Verein?“ Darauf habe ich gewartet und beginne meine Lehrminuten der 96-Kunde. Der Sitznachbar hört geduldig zu, ist er doch nach eigenen Angaben großer Fan des „Futbol Aleman“ und verfolgt die Bundesliga im Fernsehen. „Wo wird Hannover in der neuen Saison landen?“ will er wissen. „Elfter!“ ist meine Zielvorgabe. Er reagiert verwundert: „Elfter? Kein Meister“ Nein, Meister werden andere. 96 wird Elfter.

Für Colo-Colo wäre das nichts. Alles andere als der Titelgewinn ist eine Enttäuschung, dabei überdecken die aktuellen Meisterschaften das wahre Niveau von Chiles Nummer 1. Der ehemalige Arbeitgeber von Arturo Vidal und Lucas Barrios hat das Problem, jedes Jahr aufs neue seine besten Spieler an europäische Klubs abgeben zu müssen. Manchmal rückt schnell eine exzellente Generation nach, momentan werden Ausnahmekicker wie Alexis Sanchez oder Matias Fernandez vermisst. Die heimische Liga ist kein Maßstab, internationaler Glanz muss her. Außerdem dominiert Colo-Colo derzeit nicht. Gegen Concepción verliert die Equipe mit 0:2. Es ist ein schwacher Auftritt des Tabellenführers, der mit einem Pfeifkonzert quittiert wird.