Samstag, 13. März 2010

Zittersiege gegen Eintracht Frankfurt und so...


Gelegentlich muss es richtig rappeln. Die Roten sind jedenfalls aus der Lethargie erwacht und können wieder gewinnen. Sie haben eine bereits Serie von zwei Siegen in Folge hingelegt, wenngleich es richtige Zitterspiele waren.

Während gegen der Begegnung mit Eintracht Frankfurt wurde ich nicht gestört. In ungewohnter Ruhe verfolgte ich die Internetübertragung der Partie und chattete nebenbei mit anderen 96-Fans. Es war das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit, dass ich mich mit Deutschen unterhielt, ohne dass die Worte „Katastrophe“, „fürchterlich“ oder „schlimm“ fielen. Hannovers neuer Schwung macht eben Hoffnung, außerdem blieb es fast die ganze Zeit still, nur in der 88. Minute wackelte mein Arbeitszimmer im derzeit üblichen Takt. Es war der vierte Erdstoß an diesem Morgen, der leichteste des Tages. Man gewöhnt sich daran, solange alles an Ort und Stelle bleibt.
Das ist manchmal anders. Vor dem Nachbarschaftsduell gegen den VfL Wolfsburg wusste ich bereits Samstagfrüh, dass meine Bundesligazeit nicht stattfinden sollte. „Sonntag kein Fußball!“ wurde mir am 27.02. ganz uncharmant um 3.34 Uhr mitgeteilt. Als ich aus dem Schlaf gerissen wurde, bewegte sich mein Bett von alleine. Mein Haus schien in die Hände eines Riesens gefallen zu sein, welcher es ganz kräftig durchschüttelte. Es war imponierend, wie flexibel so ein Gebäude sein kann. Die Wände dehnten sich wie Gummibänder in alle Richtungen. Aus meinem Schrank flogen meine 96-Trikots, ich schnappte mir das Liebste davon, weil bei einem Erdbeben ein Haus auch einstürzen kann und ich das Shirt nicht verlieren wollte.

Als vorübergehend Ruhe einkehrte, fiel der Strom aus und sollte so schnell nicht wiederkommen. Draußen vor der Tür lagen ein paar Elektroleitungen auf der Straße. Die zuständige Firma konnte ich nicht anrufen, da das Handynetz ebenfalls ausgefallen war. Auch beim Internetanbieter war kein Durchkommen. In meinem Wohnort Concepción waren nach den großen Rumms in der Morgenstunde alle mit mit ernsteren Dingen beschäftigt. Nebenan war ein Unigebäude explodiert, ein paar Meter lagen nur noch die Schuttreste eines Wohnhauses. Ein Bild, welches sich in der Stadt mehrfach wiederholte. Überall lagen Trümmer. Selbst mir wurde dadurch bewusst, dass 96 gegen Wolfsburg nicht ganz oben auf der Prioritätenliste stand. Es gab auch keine Möglichkeit etwas darüber zu erfahren, weil wir keinen Kontakt nach draußen hatten.

Mit den Erdplatten verschoben sich allso meine Gewohnheiten. Früher, als ich noch ins Stadion ging, besorgte ich mir vor dem Anpfiff einen Becher Bier. Gegen Wolfsburg wartete ich mit meinem Eimer in einer langen Schlange auf dreckiges Wasser für die Toilette. Glücklich war ich, als ich mit dem vollen Kübel nach einer halben Stunde Anstehens endlich nach Hause gehen konnte. In der zweiten Halbzeit besorgte ich mit einem Kanister Trinkwasser. Beim Tankwagen dauerte das Warten gute 90 Minuten. Irgendwie dachte ich die ganze Zeit überhaupt nicht an 96. Seltsam! Erst am folgenden Mittwoch berichtete mir ein Freund am Telefon, dass die Roten erneut verloren hätten. Sowas kann einem die ganze Woche versauen.

Vom Sechs-Punkte-Spiel gegen den SC Freiburg sollte ich dann sogar etwas mitbekommen. Mit meiner Familie war ich inzwischen von Concepción nach Santiago geflüchtet und saß nun im 14. Stock eines Hochauses. Jenes schwankte bei jedem Nachbeben gemütlich vor sich hin. Bis zur 60. Minute blieben sowohl die Netzverbindung als auch die Stromversorgung stabil, kurz vor der 1:0-Führung verabschiedete sich erneut mein Zugang zur Bundesliga. Zum Glück dachte mein Vater in der Heimat an mich und teilte mir per Telefon den 2:1-Auswärtsieg der Roten mit. Ein gutes Zeichen.

Seitdem geht es definitiv aufwärts. Bei 96 spricht keiner mehr von einem Trümmerhaufen. In Concepción werden solche allmählich beiseite geräumt. Ich wohne zwar mittlerweile drei Meter weiter von Hannover entfernt, aber da mein Schreibtisch wieder an seinem Platz steht, ist selbst diese Distanz überwindbar.