Sonntag, 9. Mai 2010

Das Finale von Bochum

Die ganze Stadt war an diesem Wochenende schwarzweißgrün.

„Aleman, wie hat dein Verein gespielt?“ Als ich sonntagfrüh den Großmarkt „Vega Monumental“ betrete, entdeckt mich Marco sofort. Bei ihm kaufe ich regelmäßig Peperoni, Oliven und andere Spezialitäten. Weil er wie ich Fußballfan ist, diskutieren wir dabei oft über die Ergebnisse aus Deutschland und Chile. Sein Klub Fernandez Vial stolpert in der dritten Liga vor sich hin, trotzdem gehört das schwarz-gelbe Trikot immer zu seiner Arbeitskleidung.

„3:0 gewonnen! Wir bleiben oben“, antworte ich dem Händler. „In der Primera, ja?“ fragt er. Er freut sich für mich, denn Marco kennt die Leiden eines Abstieges. Sein Fernandez Vial musste 2008 eine Klasse tiefer gehen. Für den beliebtesten Verein Concepcions ist das eine Tragödie. Dritte Liga in Chile ist Amateurfußball. „3:0? Dann hat Hamburgo...“ „Hannover“, korregiere ich. „Ja, Dann hat Hannover keine Probleme.“ Ich stimme einfach zu. Es würde zuviel Zeit in Anspruch nehmen, ihm die gesamte Dramatik der letzten Wochen zu erklären.

In der Nacht vor dem Spiel hatte ich wie wohl die meisten 96-Fans unruhig geschlafen. In einer Endlosschleife drehten sich meine Gedanken um die Partie in Bochum. Zum Frühstück gab es jedoch die erste gute Nachricht des Tages: Eintracht Braunschweig hatte traditionell den Aufstieg in die Zweite Liga verpasst, somit schmeckte das Marmeladentoast gleich noch besser.
Kurz darauf wurde es ernst. Ich hatte weise auf jeglichen Aberglauben verzichtet, da ich den richtigen Glücksbringer in dieser Saison nicht finden konnte. Besondere Vorkehrungen wurden nicht getroffen. Beim Anpfiff in Bochum stand ich vor dem PC-Monitor. Mein Arbeitszimmer verwandelte sich zu einem Stadion, mein Blick richtete sich auf die Übertragung. Concepción und das Ruhrstadion waren zu einem Ort verschmolzen.
Was es auf dem Platz zu sehen gab, nahm die Angst. Hannover 96 wartete nicht ab, sondern suchte mit dem ersten Ballkontakt das VfL-Tor. Als Arnold Bruggink bereits in der neunten Minute traf, verschwand jegliche Nervosität. Ich war mir sicher, dass die Roten dieses Endspiel um den Klassenerhalt gewinnen sollten, denn die Mannschaft trat drückend überlegen auf. Der VfL Bochum dagegen existierte gar nicht, sondern fügte sich dem Schicksal. Nachdem es 3:0 zur Halbzeit stand, war die erwartete Abstiegsschlacht längst Vergangenheit.

Dieser Nichtabstieg war für Spieler und Fans der Roten eine sichtbare Befreiung. Eine schwere Saison wurde glücklich abgeschlossen. Die über alles liegende Trauer um Robert Enke wird fortan keine lähmende Last mehr sein, sondern ist zu einem identitätsstiftendem Moment von 96 geworden. Die Slomka-Elf hat es jedenfalls geschafft, sich aus der Krise zu ziehen, deshalb feierte sie mit der Anhängerschaft den an sich mageren 15. Platz wie eine Meisterschaft.

Nach dem Spiel teilte auch ich per Ein-Auto-Jubelkarawane und Hupkonzert der chilenischen Provinzhauptstadt die frohe Kunde aus Deutschland mit. An der Plaza Peru blickten die Kneipengäste verwundert auf meinen Wagen und der Parque Ecuador versank wenig später im schwarz-weiß-grünem Fahnenmeer, das aus meiner Fahne bestand. Interesse für den Trubel zeigten die anderen Parkbesucher nicht.

Samstag, 8. Mai 2010

Auch Concepción feiert den Klassenerhalt von 96

So eine Nichtabstiegsparty hat Concepción bislang nicht erlebt. Ausgelassen wurde im Parque Ecuador bei schönstem Herbstwetter gefeiert. Die Tore von Mike Hanke, Arnold Bruggink und Sergio Pinto wurden noch einmal nachgespielt. Empanadas und kühle Getränke rundeten den sonnigen Nachmittag ab. Es war ein Fest für die ganze Familie.

Der Spielbericht zum Finale folgt.

un año mas...


Die Redaktion feiert und freut sich auf die neue Saison.

Dienstag, 4. Mai 2010

Ich brauche keine Bochum-Karte


Verdammt! Ich habe keine Eintrittskarte für das entscheidende Spiel gegen den VfL Bochum. Rund 10.000 Hannover 96-Fans werden im Stadion mitfiebern, ich werde nicht dabei sein. Jahrelang habe ich fast alle Auftritte der Roten gesehen, beim großen Finale der Saison 2009/10 werde ich fehlen. Wo soll ich jetzt noch ein Billet auftreiben, wenn ich keine Wucherpreise auf dem Schwarzmarkt bezahlen will? Keine Chance.

Welch Erleichterung, als ich feststelle, dass mir der Vorverkauf egal ist. Ich wohne 13.000 Kilometer von Bochum entfernt, Urlaub kann ich mir derzeit nicht nehmen. Ich brauche mir keine Gedanken über die Anreise, den Platz in der Kurve oder die Eintrittskarte im Portmonee zu machen. Ich setze mich am Samstagmorgen vor den Computer und verfolge das Spiel ohne jeden Stress. Gerne hätte ich es bei golTV gesehen, aber der Sender wird Werder Bremen vs. Hamburg übertragen. Irgendeine Internetseite werde ich schon finden, bei der es 96 zu sehen gibt.

Eigentlich könnte ich das Wochenende gelasssen abwarten. Die Roten werden das schon schaffen. Doch plötzlich kommen Zweifel in mir auf. In der Hinrunde verlor Hannover zuhause gegen Bochum. Verläuft dieses Mal alles nach meinen Wünschen? Ich gehe einfach davon aus und lasse mich von der nächsten Sorge nervös machen. Die Seismologen erwarten in meiner Region weiterhin ein Nachbeben der Stärke 7-8 auf der Richterskala. Seit dem Erdbeben vom 27. Februar weiß ich, wie unser Haus solche Erschütterungen aushält, allerdings würde bestimmt der Strom für ein paar Tage ausfallen. Das Energienetz in Concepción ist labil und ich habe ein Horroszenario vor Augen: 90. Minute, Nürnberg spielt Remis, Bochum führt 2:1 und es gibt Elfmeter für 96. Die Erde bebt, im selben Moment sind der Strom sowie die Telefonverbindungen weg.

Montag, 3. Mai 2010

Borussia Mönchengladbach - la gran goleada


Hannover 96 hat es in dieser Saison geschafft. Seit 2005 lebe ich in Chile, doch bislang war es mir nicht gelungen mit meiner Vorliebe für den Bundesligisten aus meiner Heimat ein wirkliches Interesse der Chilenen zu wecken. Gespräche über Vereinsfußball liefen in meinem Umfeld meist über die großen Drei des Landes: Colo-Colo, Universidad de Chile und Universidad Católica. Vielleicht wurden noch die Champions League-Ergebnisse aufgearbeitet, aber das Thema 96 musste immer ich einwerfen.

Das hat sich in der Spielzeit 2009/10 geändert. Die Familie meiner Frau zittert inzwischen um den Verbleib der Roten im deutschen Fußballoberhaus. Sie wissen, wie sehr mich das Auf und Ab von 96 mitnimmt. Selbst Freunde und Kollegen erkundigen sich, wie denn dieser Verein aus Deutschland am Wochenende abgeschnitten habe. Tatsächlich sprach sich der 6:1-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach auch ohne meine Hilfe rasant herum. Mein Telefon klingelte ich ständig und ich nahm als inoffizieller 96-Botschafter in Chile die Glückwünsche dankend entgegen. Sogar meine Frau schlüpfte in die Rolle eines 96-Fans, um ihren Mitmenschen zu erklären, dass dieser Triumpf zwar noch nicht der Klassenerhalt, jedoch ein Schritt in diese Richtung gewesen sei.

Sie hatte meinen Wahnsinn wieder einmal mitbekommen. Normalerweise verkrieche ich mich während der 96-Auftritte im Arbeitszimmer und blicke gespannt auf den Bildschirm. Niederlagen werden fast verschwiegen oder mit Gossensprache kommentiert, Siege natürlich bejubelt. Am 33. Spieltag sprang ich nach fast jedem Tor, von Freiburger Treffern einmal abgesehen, euphorisch durch die Wohnung, dass selbst mein kleiner Sohn sehen wollte, was seinen Vater eigentlich so aufdrehte. Noch beim Frühstück hatte ich kaum etwas gesagt, zu sehr war ich in den Gedanken an die bevorstehende Partie in Hannover versunken. Ab 9.30 Uhr verwandelte ich unsere Wohnung in eine Fankurve und dieses 6:1 war eine Erlösung für alle. Mit dem Schlusspfiff hatte allerdings eine neue Anspannung begonnen. Sollten die Roten in Bochum verlieren, war alles nur eine schöne Momentaufnahme. Die Bedeutung von Sepp Herbergers Satz „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ war noch nie so spürbar wie in dieser Woche.

Bayern und Bayer


„Wo soll es denn hingehen?“ fragte mich der Taxifahrer. „Plaza Ñuñoa“ lautete meine Antwort. Es war spät geworden am Samstagabend vor dem Superclasíco und ich hatte wenig Lust auf den Bus zu warten, da kam das Taxi gerade Recht. Ich hatte noch genügend Geld im Portmonee, außerdem war Taxifahren in Santiago immer ein Erlebnis.

Das Auto gehörte offensichtlich einem Fußballfan. Überall steckten Pins von unzähligen Mannschaften aus aller Welt in der Innenverkleidung. Auch ein paar deutsche Teams waren darunter, 96 entdeckte ich jedoch nicht. „Du bist Deutscher, ja?“ hatte der Fahrer erkannt und offenbarte mir sofort seine Liebe für mein Land. „Ich schaue jedes Wochenende Bundesliga.“ Da hatten wir etwas gemeinsam, allerdings waren seine Favoriten nicht meine: „Bayern München, toller Klub.“ Nun haben die Münchner eine weltweit verehrte Riege, mir persönlich sind sie egal. Der Rekordmeister bewegt sich nicht in den Problemzonen, in denen 96 gelegentlich steckt. Ich erklärte dem Fahrer, dass ich kein Bayern-Fan sei, sondern Hannover 96 bevorzugte. Er schaute mich verdutzt an: „Aber, aber! München gewinnt doch alles. Letzte Woche erst 7:0. Das kam im Fernsehen.“ Davon hatte ich ebenfalls etwas mitbekommen. Leider! Ich erklärte ihm, dass mich ausgerechnet jenes Spiel überhaupt nicht begeistert hatte. Den Grund erkannte der Mann von selbst: „Moment, das war gegen Hannover, richtig? Oh, das ist gut! “ „Wieso ist das gut?“, wollte ich wissen und der Fahrer hatte eine Lebensweisheit parat: „Man braucht doch eine Mannschaft zum Leiden, alles andere ist zwecklos.“ Er war selbst passionierter Anhänger von Santiago – Chago- Morning, einer Fahrstuhlriege aus der Hauptstadt. „Der ideale Verein zum Leiden. Die steigen ab und auf, was eigentlich niemanden interessiert. Fans von Chago gibt es nur wenige.“ Er selbst war immer dabei.

Mit meiner Leidenschaft für 96 hatte ich seine Sympathien gewonnen „Tja, 0:7. Das ist hart. Bleibt denn Hannover in der Bundesliga?“ „Klar!“ „Und wie lief es heute?“ Die Frage wollte ich nicht hören, denn ich ärgerte mich aktuell noch über ein 0:3 gegen Bayer Leverkusen, der Nummer 2 unter den Lieblingsbundesligisten der Chilenen. „Warte, nichts sagen“, der Fahrer wollte mir sein Fachwissen beweisen, „ 96 hat gegen Vidals Mannschaft verloren, richtig?“ Die Ergebnisse von Leverkusen kommen wegen des chilenischen Nationalspielers in der Hauptnachrichtensendung. Schweigen hätte hier Gold sein können. „Zehn Gegentore in zwei Partien“, bedauerte er mich und bemerkte mein 96-Trikot. „Aber du hälst das aus, sehe ich.“