Donnerstag, 9. Dezember 2010

Fernsehtipp

Das Spiel gegen den VfB Stuttgart könnte für die 96-Fans in Südamerika ein Wintermärchen mitten im Sommer werden. Die Schnellballschlacht aus dem Niedersachsenstadion wird direkt übertragen. Schätzungweise 500 Millionen Zuschauer von Mexiko bis Feuerland werden verfolgen, wie die Roten auf Platz Zwei klettern.

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Punkte tanken gegen Mainz, Hamburg und Freiburg


Es ist typisch für Fußballfans ihren Lieblingsverein in aller Welt zu präsentieren. In meinem Falle werde ich angesprochen, warum ich so häufig Kleidung trage, die eine 96 verziere. Dass dahinter Niedersachsens beste Bundesligariege und keine Modemarke stehe, wissen Fußballinteressierte. In der Regel antworte ich kurz, erkläre die Bedeutung der magischen Zahl und wechsle das Thema.

Dort, wo es angebracht ist, versuche ich die Leidenschaft für Hannover 96 nicht zu verbergen. Wie passend, dass der Bundesligasender golTV während der Übertragungen die Möglichkeit bietet Grüße ausrichten zu lassen. Es schreiben Zuschauer vom gesamten Kontinent und erstaunlich oft sogar mt Sympathien für Hannover. Beim 1:0-Sieg gegen Mainz nutzte ich diesen Weg zu etwas Aumerksamkeit , was der Kommentar in der 75. Minute verkündete: „Zwei Männer wären gerade lieber in Mainz, aber bleiben in Concepción/ Chile. Sie halten nicht zu den Gastgebern, Diego und Florian sind nämlich Fans von Hannover 96.“

Auf etwas in dieser Art hatte ich nach meiner Mail an die Redaktion gewartet, manchmal jedoch treffe ich ganz unverhofft auf 96-Glück. Dass ein Mitarbeiter der chilenischen Tankstellenkette Copec das momentane Hoch der Roten verfolgt, durfte ich nach dem 3:0 gegen Freiburg erfahren.
„Entschuldigung, darf ich Sie was fragen“, bat mich der Tankwart höflich. „Natürlich“, antwortete ich ohne zu ahnen, was der Mann wollte. Er hatte meinen Wagen vollgetankt und ich bezahlt. Der Copec-Angestellte überraschte mich mit seiner Neugier. „Wo haben Sie diesen Wimpel her?“, wollte er wissen und zeigte auf den 96-Anhänger an meinem Autospiegel. „Aus Deutschland, wieso?“ Ich war etwas verwirrt. Bislang wurde dieses Schmuckstück von meinem Mitmenschen stets ingnoriert. „Aus Concepción also nicht?“ Der Tankwart war etwas enttäuscht. „Wissen Sie, ich mag diesen Verein. Ich habe sogar ein Trikot davon.“ Ich war begeistert: ein 96-Fan in dieser Stadt!
Meine Entscheidung die Selbstbedienungszapfsäule zu meiden und lieber etwas Trinkgeld für guten Service zu investieren war perfekt gewesen. Sofort begannen wir ein ausgiebiges Gespräch über die Bundesliga und den Saisonverlauf von 96. Das ist nicht erst seit den Siegen gegen Hamburg und Freiburg mein Lieblingsthema. Zugegeben, es war eher ein Monolog als Dialog, aber ich hatte einen aufmerksamen Zuhörer. Hannover 96 verwundert derzeit alle. Anstatt es sich im Tabellenkeller ungemütlich zu machen, nisten sich die Roten auf Platz Vier ein. Der Abstieg wird in dieser Saison auch nach Ergebniskrisen kein Thema sein, zu gefestigt wirkt die Slomka-Elf. Sie gewinnt die Spiele, die gewinnen muss, um im gewohnten Mittelfeld zu landen und hat dazu noch das Glück ein paar Extrapunkte gegen Bundesligagrößen zu sammeln. Der Tankwart bestätigte meine Ansichten und traute dem Verein sogar die Qualifikation für die Champions League zu. Zum Glück war es sonntagfrüh, so dass kein Kunde hinter mir warten musste.

Donnerstag, 11. November 2010

Immer wieder 96


Bereits zum achten Mal in dieser Saison überträgt der lateinamerikanische Fußballkanal GolTV eine Partie von Hannover 96. Das ist bei elf Spieltagen ein guter Schnitt und öffnet den Roten ganz neue Märkte. Tatsächlich scheint es außer mir weitere Anhänger auf dem Kontinent zu geben, denn während der Ausstrahlungen bekunden Zuschauer aus Uruguay, Panama, Argentinien etc. via E-Mail ihre Sympathien für die Niedersachsen. Nach zuletzt vier Niederlagen bei den Übertragungen der Auftritte gegen St. Pauli, Bayern, Hoffenheim sowie Dortmund ist es höchste Zeit, dass die Roten ihr Publikum in Übersee mit einem Sieg verwöhnen.

Mittwoch, 10. November 2010

Köln, Hoffenheim und der BVB


Von "Mufa" und "Mufazos" ist im chilenischen Fußball die Rede, wenn rund um eine Partie ein Unheilsbringer auf der Bildfläche erscheint. Beispielsweise rannte vor dem Halbfinale der Copa Libertadores zwischen La Universidad de Chile und den Chivas aus Guadalajara ein schwarzweißer Hund über das Spielfeld. Schwarzweiß sind die Vereinsfarben von La Us Erzrivalen Colo-Colo. Jedem Zuschauer im Stadion war sofort bewusst, dass die Blauen die Begegnung verlieren würden. So kam es auch.

Selbst bei mir schleicht sich trotz aller Vernunft regelmäßig eine Liste diverser Glücksbringer und Rituale ein, damit mein Lieblingsverein gewinnt. Leider tauchen ebenso Pechvögel auf, dabei versuche ich sie auszuschließen, doch es gelingt mir nicht immer. Die "Mufa" ist überall, sogar im Geschirrregal. So habe ich eine 96-Tasse, die ich vor vielen Jahren auf dem hannoverschen Weihnachtsmarkt gekauft habe. Nehme ich sie an Spieltagen selbst aus dem Schrank, hat es kaum Einfluss auf den Ablauf. Manipulation ist mir trotz aller Bemühungen bislang nicht gelungen. Ich trinke eigentlich gewöhnlich aus eben jenem Becher, obwohl ich auch einen anderen mit 96-Wappen besitze. Wirklich entscheidend auf das Ergebnis ist dagegen, zu welcher Tasse meine Frau greift, wenn sie am Spieltag den Kaffee zubereitet. Wählt sie das fast antike Stück, ist ein Sieg der Roten garantiert. Das wurde zuletzt beim 2:1 gegen den 1. FC Köln wieder einmal bewiesen. Ich kann ein solchen Momenten geradezu gelassen die 90 Minuten verfolgen.

Eigentlich gar nicht anzuschalten brauche ich den Fernseher bzw. Computer, wenn sie ein anderes Trinkgefäß auf den Frühstückstisch stellt. Vor dem Auftritt gegen die TSG Hoffenheim servierte Verónica den Kaffee in einer Che Guevara-Tasse. Mein Optimismus verschwand sich dabei zusehends. „Schade, 96 wird heute verlieren“, begründete ich den Stimmungsumschwung. „Wieso das denn auf einmal?“, wollte sie wissen. Sie hat inwischen geradezu eine Perfektion darin entwickelt, Interesse und Verständnis für meinen Fanatismus zu zeigen, also lässt sie mich meine Vorahnung erklären: „Nun, ich trinke aus einem Che Guevara-Becher und in wenigen Minuten fängt das Spiel an. So kann das doch nichts werden.“ Meine Frau stimmte mir zu. Der Argentinische Rebell mag sich zwar um alles und jeden gekümmert haben, doch 96 dürfte ihm ganz bestimmt gleichgültig gewesen sein. In keiner einzigen Biographie wurde jemals eine Verbindung zwischen dem lateinamerikanischen Volkshelden und der hannoverschen Fußballriege erwähnt. Logischerweise pessimistisch verfolgte ich daraufhin die Live-Übertragung von Hoffenheim vs. 96. Die 4:0-Niederlage kam wie erwartet.

Eine Woche später wollte Verónica alles richtig machen und goss mir den Kaffee in eine 96-Tasse. Leider war es nicht die richtige. Immerhin zierte das Wappen den Becher, ein Unentschieden wurde daher nicht ausgeschlossen. Borussia Dortmund stürmte aber von Anfang an los und zerstörte alle Hoffnungen. Wieder endete es 0:4 aus meiner Sicht. Die Tabellenspitze rückt außer Sichtweite. Der Aberglaube sollte langsam wieder in die Abteilung Unfug wandern. „Mufa“ – Da stehe ich doch drüber, aber zum Glück kommt das Mainz-Spiel zu einer Zeit, in der man schon schamlos ein Pils trinken darf. Ich habe nur ein Bierglas der Roten. Da kann nicht viel schief laufen.

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Gegen Bayern München


Dass Chilenen mit Fanartikeln von Bundesligavereinen herumlaufen, ist keine Seltenheit. Meist sind es Trikots der populären Vereine aus Dortmund und München, gelegentlich sind es auch Souvenirs einer Deutschlandreise. Hertha BSC hat zum Beispiel einen Absatzmarkt in Südamerika. Anti-Schals tauchten bislang nicht auf. Es passte daher ganz gut, wenige Tage nach dem 96-Spiel gegen den Rekordmeister einen „Scheiss FC Bayern“-Schal zu entdecken. Ich lobte den Träger für diese Entscheidung, wenngleich mir die Münchner sonst völlig egal sind. Das 0:3 war jedoch noch frisch und in Zeiten ungewohnter Tabellenhöhen schmerzen Niederlagen mehr als sonst.

Der Angesprochene reagierte verdutzt und erklärte, er wäre großer Fan des FCB. „Nun, dein Schal sagt das aber nicht gerade aus“, behauptete ich. „Doch, doch. Ein Freund hat ihn vor ein paar Jahren mir aus München mitgebracht“, versicherte er mir. Ein guter Freund, dachte ich und übersetzte dem armen Hund erstmal, was er da seit Jahren ahnungslos getragen hatte. In dem Moment erwürgte er in Gedanken gerade seinen Kumpel. Die landestypischen Beleidigungen sprudelten geradezu aus seinem Mund.

Ein wahrer Fan schien er allerdings nicht zu sein, wusste er nicht einmal, wie das Spiel gegen die Wunderelf aus Hannover ausging. Als ich mir noch einen Scherz erlaubte und meinte, Mario Gomez hätte man ruhig in der San Jose Mine lassen sollen, gab es nur ein gequältes Lächeln. Über Nationalhelden wird in Chile nicht gelästert.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Saisonauftakt


Mit einer Niederlage startet „Fußball von unten“ in die neue Saison. Hannover 96 hingegen lieferte ordentliche Leitungen ab. Um auf den aktuellen Stand zu kommen, gibt es einen Schnelldurchlauf.

St. Pauli nur halb zuhause.

„Profe, jetzt habe ich beim Spielen mein Mittagessen völlig vergessen. Ich mach das noch schnell“ erklärte mir mein Nachhilfeschüler. „Nein, jetzt nicht mehr“, wollte ich ihm entgegnen, doch er war längst wieder verschwunden. Es kommt häufiger vor, dass Kinder nicht wissen, wann sie mit ihrer Träumerei die Geduld der Lehrer strapazieren. Der Junge ahnte nicht, wie eilig ich es hatte. Ich war mit meinen Gedanken weniger beim Unterschied zwischen „some“ und „any“ als in der Bundesliga. Fernab von Concepción sollten sich historische Dinge ereignen. Erstmals in meinem Fanleben hätte 96 Zweiter werden können. Obwohl die Begegnung im Fernsehen übertragen wurde, konnte ich sie nicht komplett verfolgen. Freitags 14.30 Uhr ist irgendwie keine fangerechte Anstoßzeit, doch wäre dieses versäumte Mittagessen nicht gewesen, hätte ich es sogar bis zum ersten Ballkontakt nach Hause geschafft. So aber war ich erst in der zweiten Halbzeit dabei. Die Vorzeichen waren schlecht, insofern überraschte mich die 0:1-Niederlage gegen den Aufsteiger nicht.

Was zuvor noch geschah

Frankfurt zum Auftakt

Als Topkandidat für das Tabellenende wurde 96 zu Saisonbeginn eingestuft. Auch die Experten der lateinamerikanischen Sportsender verbreiteten diese Prognosen, so dass selbst fußballbegeisterte Freunde davon erfuhren: „Das wird wohl bitter für dein Team, was?“ Ich klärte sie auf, dass 96 alle zwei-drei Jahre auf der medialen Abschusslite stünde und am Ende doch 11. werde.

Ich war jedenfalls froh, die Bundesliga endlich wieder bei mir zu haben. Die Wochenenden fühlen sich so leer ohne Fußball an. Mein Stadion war das gleiche wie in der Vorsaison: die Wohnung. Das Arbeitszimmer verwandelt sich wieder in den Fanblock und alles vermisste kehrte zurück. Das 2:1 war ein ideales Comeback der samstäglichen Routine.

Auf Schalke im Fernsehen

Einen großen Sieg von Schalke 04 erwarteten die Kommentatoren von golTV. Schalke sei schließlich ein Titelaspirant mit dem Spanier Raúl, Hannover hingegen nur ein Fastabsteiger. Der Sender sollte es besser wissen. 96 spielt häufig fernsehtauglich gut, wenn die Mexikaner „en vivo“ dabei sind. Am 2. Spieltag traten die Roten geradezu goldig auf. Mit dem erneuten 2:1 waren sie sogar noch gnädig. Was soll’s? Drei Punkte mehr für die vermeintlichen Kellerkinder und mein Sohn kann seitdem sechsundneunzig sagen. Zugegeben, es klingt eher nach „neunssssich“.

Aspirin an Bord
Sollte der Sprung auf Platz Eins tatsächlich gelingen? Ich kündigte meiner Frau an, eine solche Tabelle auf Diegos Rücken zu tätowieren. Diese war von der Idee weniger angetan und drückte deshalb den Bayer die Daumen. Nadel und Farbe wurden zu ihrer Freude nicht benötigt. Hannover 96 erreichte im Kampf um die Tabellenspitze nur ein 2:2 gegen Leverkusen, davon erfuhr ich erst einen Tag später. Ich befand mich zur Anstoßzeit irgendwo über dem Pazifischen Ozean. Während unter mir nichts als Blau zu sehen war, verschenkten die Roten auf dem heimischen Grün eine 2:0-Führung.

VfL Wolfsburg unter Palmen
Bundesligafußball findet für mich eigentlich zum Frühstück statt, die Partie gegen Wolfsburg war ungewohnterweise ein Betthupferl vor dem Einschlafen. Nicht im chilenischen Concepción, sondern im australischen Port Douglas verfolgte ich das Nachbarschaftduell. Ich musste feststellen, dass es samstagnachts bessere Amusements als durchwachsene Radioübertragungen von 96-Niederlagen gibt.
Werder Bremen vor Sonnenaufgang

Die Partie gegen die Bremer war wieder einmal der Beweis, dass 96 fest in meinem Biorhythmus verankert ist. Um vier Uhr morgens wurde das Spiel angepiffen und ich benötigte nicht einmal einen Wecker, um rechtzeitig aufzuwachen. Pünktlich zum Anstoß war ich online und ließ mir von den hannoverschen Toren das Morgengrauen versüßen. Ein 4:1 gegen Werder Bremen? Normalerweise geht es andersrum aus.
Kaiserslautern zurück auf meinem Sofa
Zwischen Sydney und Concepción liegen 14 Stunden Zeitunterschied. Ich war am Vortag in meinem Wohnort gelandet und dementsprechend vom Jetlag geplagt. War es morgens oder nachts? Egal, golTV empfing mich mit einer Live-Übertragung. So gab es ein ruckelfreies Bild von einem holprigen 1:0, was 96 in die Champions League Ränge brachte.

Sonntag, 26. September 2010

Fehlstart dieser Seite


Manchmal läuft es einfach nicht. Da hat sich "Fußball von unten" große Ziele für die Saison 2010/11 vorgenommen, doch dann fehlte plötzlich die Zeit die Seite mit neuen Artikeln zu füttern. Ein glatter Fehlstart also! Am Herausziehen aus dem Nullbuchstabenkeller wird gearbeitet. Der nächste Text folgt in Kürze.

Montag, 9. August 2010

La vida en verde


La Vida en Verde ist ein TV-Magazin der Santiago Wanderers. Wöchentlich berichtet es beim Canal de Futbol (CDF) über den traditionsreichsten Fußballverein Chiles und beleuchtet dabei im Fanzinestil die treue Anhängerschaft. In der aktuellen Ausgabe der Sendung wird Hannover 96 seinen Platz finden, weil den Machern beim Auswärtsspiel in Talcahuano mein 96-Schal ins Auge fiel. Ich hatte mich wie gewöhnlich zu den Fans der Grün-Weißen gesetzt, was der Redaktion ein Kurzinterview wert war. Ein Deutscher, der den Wanderers die Daumen drückt, ist exotisch.

Wie der Name es verrät, kommt der Klub aus ... Valparaiso, einer kunterbunten Hafenstadt zwei Autostunden von Santiago entfernt. Ich besuche die Spiele recht regelmäßig, passt die Mannschaft doch ideal zu einem 96-Fan. Sie durchlebt wie die Roten ständig Höhen und Tiefen. Selbst der Lieblingsfeind ist ähnlich. Blaugelb steht einem Wanderino ebenfalls miserabel.

Donnerstag, 5. August 2010

Salas - die Geschichte einer Heimkehr in die Fremde (2)

Teil 2: Die Ankunft

Da war er nun und wusste nicht wohin. Die Reise nach Santiago sollte eine Neuorientierung werden, dabei verlor er als allererstes den Überblick. Zuviele Informationen strömten beim Verlassen des Zollbereichs auf ihn ein. Die Empfangshalle des Flughafens war überfüllt. Jeder suchte irgendwen und Taxiagenturen warben um Kunden. Er musste dem Getümmel entfliehen.
Draußen vor der Tür steckte sich Salas eine Zigarette an und atmete durch. „Taxi, Señor?“ wurde ihm erneut angeboten. „Augenblick“ deutete Salas an. Der Fahrer nahm bereits seinen Rucksack zur Hand und verstaute ihn im Kofferraum. „Wo soll es hingehen?“ Das wusste Salas selbst gar nicht so genau. Er war gerade erst in in der chilenischen Hauptstadt angekommen und hatte kein genaues Ziel: „Wahrscheinlich ins Zentrum. Was kostet das?“ „10.000 Peso.“ Teuer oder nicht, Salas konnte das nicht einschätzen, ihm war es auch egal: “Na, dann los!“
Ob denn die Reise schön gewesen sei, wollte der Fahrer wissen. „Sie beginnt erst“, antwortete Salas und verblüffte dadurch seinen Gesprächspartner: „Aber Sie sind Chileno, oder?“ Eine Frage, die sich Salas selbst gestellt hatte: „Um das herauszufinden, bin ich hier.“ Er erklärte, dass er in Deutschland geboren und aufgewachsen war. Chile hatte er noch nie besucht. In den nächsten Wochen versuchte er etwas über seine Wurzeln zu erfahren, aber vor allem wollte er Fußball gucken.
Sie verließen die Autobahn und fuhren auf die Alameda, Santiagos Hauptstraße, welche die Stadt von Osten nach Westen durchquert und an der Plaza Italia endet. Der Verkehr geriet ins Stocken. Sie waren zwischen Omnibussen eingeklemmt. Salas starrte aus dem Fenster. Er blickte auf die abgeblätterten jedoch bunten Fassaden der Altbauten und die modernen Hochhäuser. Überall waren Menschen, die irgendetwas verkauften: Eis, Cola, Zeitungen, Schoklade, Spielzeug. Selbst auf der Straße wuselten sie vor den Ampeln zwischen den Autos umher. Es wirkte chaotisch, doch es gefiel ihm. Der Taxifahrer bemerkte, wie sehr sein Passagier in das Panorama versunken war. „Tun Sie sich selbst einen Gefallen und vergleichen es nicht. Das hier ist Santiago, nicht Deutschland. Lassen Sie sich darauf ein und Sie werden es lieben.“ Ein weiser Ratschlag, erkannte auch Salas. Er hatte vor ganz tief in die chilenische Gesellschaft einzutauchen. Beginnen wollte er damit durch einen Stadionbesuch.
Am Abend sollte das Abschiedsspiel seines Idols Marcelo Salas stattfinden. Deswegen hatte er diesen Tag als Beginn seiner Reise ausgewählt. „Was ist Ihr Verein?“ fragte er den Taxifahrer, um ihn in ein Fußballgespräch zu verwickeln. „La U“ antwortete dieser mit stolz. „Ach, das passt, Sie wissen bestimmt, wo es Karten für das Spiel gibt.“ „Ja, natürlich, am Estadio Nacional.“ Der Mann am Steuer riet dem Touristen besser gleich ein Ticket zu besorgen. Die Nachfrage war in den Tagen zuvor bereits sehr groß gewesen. „Dann fahren Sie mich doch bitte zum Stadion.“ Gerne, meinte der Fahrer ohne den Aufpreis zu vergessen.
„Warum sind Sie ausgerechnet ein Fan von Salas?“, fragte er. Sein Kunde erklärte, dass er eigentlich Jose hieße, aber in Hannover von allen Leuten Salas gerufen wurde. Der Taxichauffeur lachte: „Josés, die Salas gerufen werden, treffen Sie heute Abend viele.“

Dienstag, 3. August 2010

Orakel werden vor 96-Spielen nicht befragt


Die neue Bundesligasaison beginnt diesen Monat und die "Fußball von unten“ hat ein Vorabinterview mit der Blog-Redaktion geführt. Themen waren die 96-lose Zeit, Zielsetzungen und andere entscheidende Dinge für eine erfolgreiches Abschneiden im Mai 2011.

Wie hast du die Sommerpause verbracht?

Für mich war das eine Winterpause. Die Entzugserscheinungen wurden mit der WM und Stadionbesuchen beruhigt. Erstmals seit vielen Jahren war Fernsehfußball mit Beteiligung von 96-Spielern wieder ein Gemeinschaftserlebnis, wenngleich mein Daumen drücken für die USA kritisch kommentiert wurde. Die Auftritte der deutschen und der chilenischen Mannschaft waren wie in Deutschland überwiegend Anlässe für Fußballparties, allerdings in den Morgenstunden.

Hast du irgendwelche Erkenntnisse aus der Fußball-WM gezogen?

Aberglaube bringt Unglück, sagt eine Volksweisheit. Orakel und ähnliche Rituale vor 96-Spielen werden garantiert nicht durchgeführt.

Wie hast du dich eigentlich fit gehalten?

Fußballkonsum vor der Glotze und im Stadion reichen natürlich nicht aus, deswegen habe ich reichlich Zeit im Internet verschwendet - äh - investiert. Ach ja, ein Fitnessstudio, in dem espn und fox sports auf Plasmabildschirmen laufen, besuche ich inzwischen auch wieder.

Was sind die Neuerungen der Saison?

Seit Ende Juli gibt es ein- bis zweimal wöchentlich ein Kapitel von „Salas“ zu lesen. Dahinter steckt der Versuch auf dieser Seite einen Fußballroman entstehen zu lassen. Ich hoffe, er kommt bei den Lesern an. Außerdem ist es das Ziel den Blog regelmäßiger zu aktualisieren. Die Spielberichte bleiben selbstverständlich erhalten. Auch die Fundstücke werden wie gewohnt die Seite garnieren.

Wie wirst du die Spiele verfolgen?

Die Bundesliga wird im Fernsehen übertragen. Ich hoffe, die Sender werden sich häufiger als in der vergangenen Saison für die Roten entscheiden. Ansonsten liefern die Übertragungen der Wettanbieter und das Internetradio Hannovers Glanztaten nach Chile.

Gibt es weiterhin Fußballkaffee aus der 96-Tasse?

Ja, Kaffee gehört zu den chilenischen Stadionklassikern und daran habe ich mich längst gewöhnt. Gewiss habe ich in der Vergangenheit bei 96-Spielen selbst früh morgens schon Bier getrunken, darauf verzichte ich mittlerweile. Mein Sohn guckt gelegentlich mit.

Hast du schon das neue Trikot?

Produkte von under armour sind zwar selbst in Concepción erhältlich, doch das 96-Trikot habe ich leider nicht entdecken können. Vielleicht gibt es irgendwann eine Überraschung wie bei den diadora-Shirts. Ansonsten werde ich auf die bewährten Feldschlösschen-Trikots zurückgreifen.

Welche Ziele hast du dir für die Saison gesteckt?

Das sind zwei. Erstens: Der Besuch eines 96-Spiels im Stadion. Zweitens: Den befreundeten Restaurantbesitzer von einem Public Viewing in seiner Pizzeria überzeugen, falls 96 bei gol TV live gezeigt wird.

Und dein Tipp?

Ein erfrischend-fröhlicher elfter Platz.

Donnerstag, 29. Juli 2010

Salas - die Geschichte einer Heimkehr in die Fremde



Teil 1 - Der Name

„Wozu habe ich eigentlich meinen bürgerlichen Namen?“ fragte sich Salas häufiger. In seinem Pass steht, er heiße José Gerd Gonzales Müller. Eine perfekte Mischung zweier Allerweltsnamen der Kulturkreise seiner Eltern: José Gonzales und Gerd Müller. Doch, wenn der 38-Jährige zurückblickte, wurde er eigentlich nie so genannt. Seine Eltern riefen ihn immer nur „Chico“ oder „Cariño“. Für die Freunde war er nur der Chileno und seine Lehrer in Hannover fanden es besonders geistreich ihn mit den Namen berühmter Landsleute zu adeln. So war er nach einer passablen Deutschklausur immer Pablo Neruda und im Sportunterricht musste er sich an Caszely gewöhnen, weil er wie der schnauzbärtige Nationalheld entscheidende Elfmeter verschoss. Regte er sich mal auf, hieß es: „Bleib ruhig, Pinochet“. Das war zum Glück selten und als er sich zur Wahl der Schülervertretung aufstellen ließ, entwarfen meine Klassenkameraden ein Plakat: „Allende vive“, jedoch mit seinem Konterfei.

Caszely fand er schon in Ordnung, aber das konnte niemand schreiben und so wurde er in den 90er Jahren zu Salas. Seine Freunde aus der Fußballmannschaft hatten ihn nach dem chilenischen Torjäger getauft, weil er José ebenfalls ein guter Stürmer ist. „Hey Salas, das war ein Riesenspiel von dir“, lobte ihn sein Coach nach einer unvergesslichen Partie. Er war neu im Team und hatte den Gegner mit fünf Treffern im Alleingang besiegt. Die anderen fragten gar nicht mehr nach, ob er wirklich Salas hieße. Er war es fortan.

„Ich bin mir übrigens sicher, dass ich es mit dem richtigen Training mindestens in die Regionalliga geschafft hätte,“, war Salas von sich überzeugt. Leider opferte er jedoch bereits in jungen Jahren sein Talent langen Diskonächten und sehr kurzen Dauerläufen. Es reichte daher nur für die Bezirksklasse und einige Bolzplätze nahe der Universität.

Salas war auch so zufrieden „Den Spitznamen wegen Marcelo Salas zu bekommen, ist nicht das schlechteste.“ Eine große Auswahl hatten seine Mannschaftskameraden nicht, sie kannten sonst nur Ivan Zamorano. Nach einer Weile stellte er sich sogar selbst als Salas vor und vergas José. „Selbst meine Mutter rief mich nur noch Salas. Hätte der Matador bereits in den siebziger Jahren gespielt, hätte sie mich nach ihm getauft. So konnte jedoch mein Vater seinen geliebten Gerd Müller durchsetzen. Mir gelang das nie.“, erinnerte er sich. Wenn ihn jemand nach meinem Namen fragte und er Gerd Müller antwortete, lachten alle nur. Er belies es in der Schule daher bei José Gonzales: „Wie der „Bomber der Nation“ sah ich wirklich nicht aus.“ Sein Vater hatte ihm als Geschenk an die Damenwelt seine blauen Augen vererbt, aber der Rest seines Körpers war durch und durch Latino. Sein Glück: „Von den Frauen wird das sehr wohlwollend wahrgenommen.“

José mochte den echten Marcelo Salas, als er bei Lazio Rom, River Plate, Juventus Turin und natürlich Universidad de Chile seine Tore geschossen hatte. Irgendwann begann er sogar seinen Torjubel, indem er auf dem Boden niederknieend mit den rechten Zeigefinger zum Himmel zeigt, zu imitieren. „Logisch, dass ich diverse Trikots mit seinem Namen besitze,“ erzählt er stolz. Eine Freundin hatte mir sogar Salas auf ein Shirt von Hannover 96 drucken lassen. Das passe so gut zu mir, war sie überzeugt. Recht hatte sie. „Ich liebe dieses Hemd. Hannover 96 ist mein Verein und ich bin Salas.“
Und das ist seine Geschichte. (Teil 2 folgt am nächsten Freitag.)

Dienstag, 27. Juli 2010

Colo-Colo spielt Fußball mit Möwen in Concepcion


Die Bundesligapause dauert an und die Wochenenden sind daher etwas unausgefüllt. Es gibt keinen Torjubel am Morgen und auch die verärgerten Tritte gegen den Schreibtisch bleiben aus. Einem Samstag fehlt etwas, wenn 96 nicht spielt. Testspielergebnisse gegen unterklassige Riegen sind aus der Ferne kein Ersatz.
Immerhin kehren Chiles Profikicker in den Spieltbetrieb zurück. Bei winterlichen Grau schaue ich die Partie zwischen Universidad de Concepción und Colo-Colo an. Wer Stadionbesuche nach guter alter Art mag, ist bei solchen Kicks richtig aufgehoben. Bei Regen schützt kein Dach. Halbzeitshows gibt es nicht. Lediglich die Möwen sorgen für ein Rahmenprogramm. Etwa 96 Tiere umkreisen das Spielfeld und die Tribünen. Die Nähe zum Meer ist erkennbar. Abgesehen von der örtlichen Tierwelt gibt es Fußball pur.
Die Ränge sind gut gefüllt, wenn Colo-Colo in die Provinz reist, so auch in diesem Spiel. Knapp 13.000 Zuschauer sind im Estadio Collao, gut 12.500 sind Anhänger der Gastmannschaft. U de Conce ist zwar der einzige Erstligist der Stadt, aber ein Verein ohne Fans. Die Traditionsriegen von Depórtes und Fernandez Vial dümpeln in der zweiten bzw. dritten Liga herum. Sie haben trotzdem mehr Zuspruch.

Ich setze mich unter die zahleichen Fans der Weißschwarzen. Die meisten von ihnen kommen nicht aus Santiago, sondern aus dem Großraum Concepción. „Coco-Colo ist Chile“, behaupten sie und haben wahrscheinlich recht. Der Rekordmeister hat im ganzen Land seine Sympathisanten. An diesem Nachmittag entfacht seine Elf jedoch keine Euphorie. Ideenlos agiert sie auf dem Platz. „Furchtbar langweilig“, sage ich zu meinem Nachbar, der längst begonnen hatte per Telefon im Internet nach Ablenkung zu suchen. „Ja, das ist wahr“, stimmt er mir zu und schiebt die Schuld auf alle Beteiligten: Der Trainer, die Spieler, der Vorstand, der Rasen, das Publikum. Das ist wohl in allen Stadien dieser Welt gleich.
Der enttäuschte Colocolino schaut mich an: „Du bist kein Chilene, oder?“ Ich leiere meine Standardantworten herunter, denn ich kenne die Fragen schon: Was machst du hier? Gefällt es dir? Wie lange bist du hier? Er entdeckt meinen 96-Schal. „Ist das dein Verein?“ Darauf habe ich gewartet und beginne meine Lehrminuten der 96-Kunde. Der Sitznachbar hört geduldig zu, ist er doch nach eigenen Angaben großer Fan des „Futbol Aleman“ und verfolgt die Bundesliga im Fernsehen. „Wo wird Hannover in der neuen Saison landen?“ will er wissen. „Elfter!“ ist meine Zielvorgabe. Er reagiert verwundert: „Elfter? Kein Meister“ Nein, Meister werden andere. 96 wird Elfter.

Für Colo-Colo wäre das nichts. Alles andere als der Titelgewinn ist eine Enttäuschung, dabei überdecken die aktuellen Meisterschaften das wahre Niveau von Chiles Nummer 1. Der ehemalige Arbeitgeber von Arturo Vidal und Lucas Barrios hat das Problem, jedes Jahr aufs neue seine besten Spieler an europäische Klubs abgeben zu müssen. Manchmal rückt schnell eine exzellente Generation nach, momentan werden Ausnahmekicker wie Alexis Sanchez oder Matias Fernandez vermisst. Die heimische Liga ist kein Maßstab, internationaler Glanz muss her. Außerdem dominiert Colo-Colo derzeit nicht. Gegen Concepción verliert die Equipe mit 0:2. Es ist ein schwacher Auftritt des Tabellenführers, der mit einem Pfeifkonzert quittiert wird.

Mittwoch, 30. Juni 2010

Noch ein Talent


Welch ein Moment. Diego spielte Fußball. Nur wenige Minuten nach der 0:3-Niederlage Chiles gegen Brasilien kickte mein Sohn einen Ball vor sich her. Sonst hatte er ihn immer in die Hände genommen anstatt zu treten. Dabei war es nicht sein Ball, sondern eines anderen kleinen Jungen, welcher mit seinen Eltern den Sonntag auf dem Uni-Campus genoss. Diego, mit einem Chile-Trikot unter der Jacke bekleidet, schnappte sich laut „Ballllllll“-rufend das Spielgerät und lief davon. Der zweijährige Sebastian hatte das Nachsehen.

Ich war natürlich ein stolzer Vater und Sebastians Eltern fragten mich, in welcher Sprache ich mit dem kleinen Fußballer reden würde. „Deutsch“, sagte ich und die beiden erkannten darin den Grund für das frühe Talent. „Mutter Chilenin, der Papa Deutscher: Diego ist also ein typischer deutscher Nationalspieler,“ meinte Sebastians Vater Rodrigo mit Blick auf den aktuellen WM-Kader der DFB-Auswahl. Kinder binationaler Ehen prägen die deutschen Auftritte in Südafrika. Der Chilene wollte ihn deshalb schon vorausblickend für sein Land fest verpflichten.

Ob Diego tatsächlich einmal ein großer Star wird oder wie ich nur großmäuliger Kritiker, bleibt abzuwarten. Momentan tritt er meist in meinem Fußstapfen. Er singt bei „Alte Liebe“ auf seine Art mit und klatscht bei anderen 96-Liedern in die Hände. Überhaupt erkennt er problemlos das 96-Wappen in seinem Alltag. Er nennt es „Lala“, weil in meiner Küche ein Altin Lala-Poster hängt und dieser Name bei all den Schweinsteigers, Mertesackers und Trochowskis recht einfach ist.

Zur deutschen Nationalelf hat Dieguito eine erweckende Beziehung. Sie ist „Kaffee“, was daran liegt, dass ich zum WM-Frühstück aus einer DFB-Tasse trinke. Sieht er den Adler, sagt er „Kaffee“ und lacht. Weiteres Interesse für den dreimaligen Weltmeister konnte ich bei ihm noch nicht entdecken. Wenn Diego vor der Wahl steht, einen Deutschland- oder einen Hannover-Schal zu tragen, greift er zum Schwarzweißgrün. Mir ist das Recht, 96-Fan zu sein ist ein Familienerbe.

Seine WM-Vertreter waren dagegen die glücklosen Chilenen. Mit seiner Mutter hatte der Kleine den typischen Schlachtruf „Chi-Chi-Chi Le-Le-Le! Viva Chile!“ einstudiert. Mit Erfolg: Während mein Sohn auf Fotos im Deutschlandtrikot stets traurig schaut, lacht er im chilenischen Rot. Und beim WM-Gucken im Kindergarten war er der Oberfan, weil er die Wörter „Ball“ und „Tor“ schon kennt. Allerdings auf Deutsch, womit die anderen wenig anfangen können.

Am vergangenen Sonntag wollte er es dann selbst probieren. Alexis Sanchez, Arturo Vidal und die übrigen Auwahlkicker hatten es zuvor nicht gepackt. Klein-Diego umkurvte mit dem Ball einen Baum und dribbelte in Papis Tagträumen schon durch holländische Abwehrreihen. Bis sich ein Hund die Kugel schnappte und der Junge das Nachsehen hatte.

Donnerstag, 10. Juni 2010

Hannover ist 'ne Wurst


Während der Weltmeisterschaft wird beim Fußballgucken traditionell sportlich vor dem Fernseher gegessen. Der chilenische Wurstfabrikant Winter denkt dabei sogar an die 96-Fans im Land und bietet die Fleischpastete „Hannover“ mit schwarz-rot-goldenem Schriftzug an. Ein wahres Fundstück im Kühlregal, das sich bestens als Aufstrich für die Schnittchen zur Halbzeitpause eignet. Leider aber wurde die Zielgruppe etwas verfehlt: Die Redaktion von „Fußball von unten“ besteht aus Vegetariern.

Sonntag, 9. Mai 2010

Das Finale von Bochum

Die ganze Stadt war an diesem Wochenende schwarzweißgrün.

„Aleman, wie hat dein Verein gespielt?“ Als ich sonntagfrüh den Großmarkt „Vega Monumental“ betrete, entdeckt mich Marco sofort. Bei ihm kaufe ich regelmäßig Peperoni, Oliven und andere Spezialitäten. Weil er wie ich Fußballfan ist, diskutieren wir dabei oft über die Ergebnisse aus Deutschland und Chile. Sein Klub Fernandez Vial stolpert in der dritten Liga vor sich hin, trotzdem gehört das schwarz-gelbe Trikot immer zu seiner Arbeitskleidung.

„3:0 gewonnen! Wir bleiben oben“, antworte ich dem Händler. „In der Primera, ja?“ fragt er. Er freut sich für mich, denn Marco kennt die Leiden eines Abstieges. Sein Fernandez Vial musste 2008 eine Klasse tiefer gehen. Für den beliebtesten Verein Concepcions ist das eine Tragödie. Dritte Liga in Chile ist Amateurfußball. „3:0? Dann hat Hamburgo...“ „Hannover“, korregiere ich. „Ja, Dann hat Hannover keine Probleme.“ Ich stimme einfach zu. Es würde zuviel Zeit in Anspruch nehmen, ihm die gesamte Dramatik der letzten Wochen zu erklären.

In der Nacht vor dem Spiel hatte ich wie wohl die meisten 96-Fans unruhig geschlafen. In einer Endlosschleife drehten sich meine Gedanken um die Partie in Bochum. Zum Frühstück gab es jedoch die erste gute Nachricht des Tages: Eintracht Braunschweig hatte traditionell den Aufstieg in die Zweite Liga verpasst, somit schmeckte das Marmeladentoast gleich noch besser.
Kurz darauf wurde es ernst. Ich hatte weise auf jeglichen Aberglauben verzichtet, da ich den richtigen Glücksbringer in dieser Saison nicht finden konnte. Besondere Vorkehrungen wurden nicht getroffen. Beim Anpfiff in Bochum stand ich vor dem PC-Monitor. Mein Arbeitszimmer verwandelte sich zu einem Stadion, mein Blick richtete sich auf die Übertragung. Concepción und das Ruhrstadion waren zu einem Ort verschmolzen.
Was es auf dem Platz zu sehen gab, nahm die Angst. Hannover 96 wartete nicht ab, sondern suchte mit dem ersten Ballkontakt das VfL-Tor. Als Arnold Bruggink bereits in der neunten Minute traf, verschwand jegliche Nervosität. Ich war mir sicher, dass die Roten dieses Endspiel um den Klassenerhalt gewinnen sollten, denn die Mannschaft trat drückend überlegen auf. Der VfL Bochum dagegen existierte gar nicht, sondern fügte sich dem Schicksal. Nachdem es 3:0 zur Halbzeit stand, war die erwartete Abstiegsschlacht längst Vergangenheit.

Dieser Nichtabstieg war für Spieler und Fans der Roten eine sichtbare Befreiung. Eine schwere Saison wurde glücklich abgeschlossen. Die über alles liegende Trauer um Robert Enke wird fortan keine lähmende Last mehr sein, sondern ist zu einem identitätsstiftendem Moment von 96 geworden. Die Slomka-Elf hat es jedenfalls geschafft, sich aus der Krise zu ziehen, deshalb feierte sie mit der Anhängerschaft den an sich mageren 15. Platz wie eine Meisterschaft.

Nach dem Spiel teilte auch ich per Ein-Auto-Jubelkarawane und Hupkonzert der chilenischen Provinzhauptstadt die frohe Kunde aus Deutschland mit. An der Plaza Peru blickten die Kneipengäste verwundert auf meinen Wagen und der Parque Ecuador versank wenig später im schwarz-weiß-grünem Fahnenmeer, das aus meiner Fahne bestand. Interesse für den Trubel zeigten die anderen Parkbesucher nicht.

Samstag, 8. Mai 2010

Auch Concepción feiert den Klassenerhalt von 96

So eine Nichtabstiegsparty hat Concepción bislang nicht erlebt. Ausgelassen wurde im Parque Ecuador bei schönstem Herbstwetter gefeiert. Die Tore von Mike Hanke, Arnold Bruggink und Sergio Pinto wurden noch einmal nachgespielt. Empanadas und kühle Getränke rundeten den sonnigen Nachmittag ab. Es war ein Fest für die ganze Familie.

Der Spielbericht zum Finale folgt.

un año mas...


Die Redaktion feiert und freut sich auf die neue Saison.

Dienstag, 4. Mai 2010

Ich brauche keine Bochum-Karte


Verdammt! Ich habe keine Eintrittskarte für das entscheidende Spiel gegen den VfL Bochum. Rund 10.000 Hannover 96-Fans werden im Stadion mitfiebern, ich werde nicht dabei sein. Jahrelang habe ich fast alle Auftritte der Roten gesehen, beim großen Finale der Saison 2009/10 werde ich fehlen. Wo soll ich jetzt noch ein Billet auftreiben, wenn ich keine Wucherpreise auf dem Schwarzmarkt bezahlen will? Keine Chance.

Welch Erleichterung, als ich feststelle, dass mir der Vorverkauf egal ist. Ich wohne 13.000 Kilometer von Bochum entfernt, Urlaub kann ich mir derzeit nicht nehmen. Ich brauche mir keine Gedanken über die Anreise, den Platz in der Kurve oder die Eintrittskarte im Portmonee zu machen. Ich setze mich am Samstagmorgen vor den Computer und verfolge das Spiel ohne jeden Stress. Gerne hätte ich es bei golTV gesehen, aber der Sender wird Werder Bremen vs. Hamburg übertragen. Irgendeine Internetseite werde ich schon finden, bei der es 96 zu sehen gibt.

Eigentlich könnte ich das Wochenende gelasssen abwarten. Die Roten werden das schon schaffen. Doch plötzlich kommen Zweifel in mir auf. In der Hinrunde verlor Hannover zuhause gegen Bochum. Verläuft dieses Mal alles nach meinen Wünschen? Ich gehe einfach davon aus und lasse mich von der nächsten Sorge nervös machen. Die Seismologen erwarten in meiner Region weiterhin ein Nachbeben der Stärke 7-8 auf der Richterskala. Seit dem Erdbeben vom 27. Februar weiß ich, wie unser Haus solche Erschütterungen aushält, allerdings würde bestimmt der Strom für ein paar Tage ausfallen. Das Energienetz in Concepción ist labil und ich habe ein Horroszenario vor Augen: 90. Minute, Nürnberg spielt Remis, Bochum führt 2:1 und es gibt Elfmeter für 96. Die Erde bebt, im selben Moment sind der Strom sowie die Telefonverbindungen weg.

Montag, 3. Mai 2010

Borussia Mönchengladbach - la gran goleada


Hannover 96 hat es in dieser Saison geschafft. Seit 2005 lebe ich in Chile, doch bislang war es mir nicht gelungen mit meiner Vorliebe für den Bundesligisten aus meiner Heimat ein wirkliches Interesse der Chilenen zu wecken. Gespräche über Vereinsfußball liefen in meinem Umfeld meist über die großen Drei des Landes: Colo-Colo, Universidad de Chile und Universidad Católica. Vielleicht wurden noch die Champions League-Ergebnisse aufgearbeitet, aber das Thema 96 musste immer ich einwerfen.

Das hat sich in der Spielzeit 2009/10 geändert. Die Familie meiner Frau zittert inzwischen um den Verbleib der Roten im deutschen Fußballoberhaus. Sie wissen, wie sehr mich das Auf und Ab von 96 mitnimmt. Selbst Freunde und Kollegen erkundigen sich, wie denn dieser Verein aus Deutschland am Wochenende abgeschnitten habe. Tatsächlich sprach sich der 6:1-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach auch ohne meine Hilfe rasant herum. Mein Telefon klingelte ich ständig und ich nahm als inoffizieller 96-Botschafter in Chile die Glückwünsche dankend entgegen. Sogar meine Frau schlüpfte in die Rolle eines 96-Fans, um ihren Mitmenschen zu erklären, dass dieser Triumpf zwar noch nicht der Klassenerhalt, jedoch ein Schritt in diese Richtung gewesen sei.

Sie hatte meinen Wahnsinn wieder einmal mitbekommen. Normalerweise verkrieche ich mich während der 96-Auftritte im Arbeitszimmer und blicke gespannt auf den Bildschirm. Niederlagen werden fast verschwiegen oder mit Gossensprache kommentiert, Siege natürlich bejubelt. Am 33. Spieltag sprang ich nach fast jedem Tor, von Freiburger Treffern einmal abgesehen, euphorisch durch die Wohnung, dass selbst mein kleiner Sohn sehen wollte, was seinen Vater eigentlich so aufdrehte. Noch beim Frühstück hatte ich kaum etwas gesagt, zu sehr war ich in den Gedanken an die bevorstehende Partie in Hannover versunken. Ab 9.30 Uhr verwandelte ich unsere Wohnung in eine Fankurve und dieses 6:1 war eine Erlösung für alle. Mit dem Schlusspfiff hatte allerdings eine neue Anspannung begonnen. Sollten die Roten in Bochum verlieren, war alles nur eine schöne Momentaufnahme. Die Bedeutung von Sepp Herbergers Satz „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ war noch nie so spürbar wie in dieser Woche.

Bayern und Bayer


„Wo soll es denn hingehen?“ fragte mich der Taxifahrer. „Plaza Ñuñoa“ lautete meine Antwort. Es war spät geworden am Samstagabend vor dem Superclasíco und ich hatte wenig Lust auf den Bus zu warten, da kam das Taxi gerade Recht. Ich hatte noch genügend Geld im Portmonee, außerdem war Taxifahren in Santiago immer ein Erlebnis.

Das Auto gehörte offensichtlich einem Fußballfan. Überall steckten Pins von unzähligen Mannschaften aus aller Welt in der Innenverkleidung. Auch ein paar deutsche Teams waren darunter, 96 entdeckte ich jedoch nicht. „Du bist Deutscher, ja?“ hatte der Fahrer erkannt und offenbarte mir sofort seine Liebe für mein Land. „Ich schaue jedes Wochenende Bundesliga.“ Da hatten wir etwas gemeinsam, allerdings waren seine Favoriten nicht meine: „Bayern München, toller Klub.“ Nun haben die Münchner eine weltweit verehrte Riege, mir persönlich sind sie egal. Der Rekordmeister bewegt sich nicht in den Problemzonen, in denen 96 gelegentlich steckt. Ich erklärte dem Fahrer, dass ich kein Bayern-Fan sei, sondern Hannover 96 bevorzugte. Er schaute mich verdutzt an: „Aber, aber! München gewinnt doch alles. Letzte Woche erst 7:0. Das kam im Fernsehen.“ Davon hatte ich ebenfalls etwas mitbekommen. Leider! Ich erklärte ihm, dass mich ausgerechnet jenes Spiel überhaupt nicht begeistert hatte. Den Grund erkannte der Mann von selbst: „Moment, das war gegen Hannover, richtig? Oh, das ist gut! “ „Wieso ist das gut?“, wollte ich wissen und der Fahrer hatte eine Lebensweisheit parat: „Man braucht doch eine Mannschaft zum Leiden, alles andere ist zwecklos.“ Er war selbst passionierter Anhänger von Santiago – Chago- Morning, einer Fahrstuhlriege aus der Hauptstadt. „Der ideale Verein zum Leiden. Die steigen ab und auf, was eigentlich niemanden interessiert. Fans von Chago gibt es nur wenige.“ Er selbst war immer dabei.

Mit meiner Leidenschaft für 96 hatte ich seine Sympathien gewonnen „Tja, 0:7. Das ist hart. Bleibt denn Hannover in der Bundesliga?“ „Klar!“ „Und wie lief es heute?“ Die Frage wollte ich nicht hören, denn ich ärgerte mich aktuell noch über ein 0:3 gegen Bayer Leverkusen, der Nummer 2 unter den Lieblingsbundesligisten der Chilenen. „Warte, nichts sagen“, der Fahrer wollte mir sein Fachwissen beweisen, „ 96 hat gegen Vidals Mannschaft verloren, richtig?“ Die Ergebnisse von Leverkusen kommen wegen des chilenischen Nationalspielers in der Hauptnachrichtensendung. Schweigen hätte hier Gold sein können. „Zehn Gegentore in zwei Partien“, bedauerte er mich und bemerkte mein 96-Trikot. „Aber du hälst das aus, sehe ich.“

Sonntag, 11. April 2010

Auf Schalke ist Verlass


„Ich verstehe zwar kein Deutsch, aber du hast bestimmt heute früh Fußball geguckt“, meinte mein Nachbar am Samstagnachmittag. „Und dein Verein hat gewonnen, richtig?“, fragte er ergänzend. Das hatte der Mann gut erkannt. Er wohnt im ersten Stock und mein Apartment ist in der vierten Etage. Mein Jubel war also im ganzen Haus zu hören. Wunderbar! „Wer hatte eigentlich gespielt?“, wollte er wissen. „Hannover 96 gegen Schalke 04“ antworte ich. „Ach so.“

„Ach so?“ Was für ein Spiel! Ich konnte die Begegnung nur im Fernsehen verfolgen, trotzdem hatte ich so sehr mitgefiebert, dass ich völlig vergas in einer Wohnung in Concepción und nicht im Niedersachsenstadion zu sein. Ich hatte schon vorher einen Sieg erwartet, weil auf Schalke 04 einfach Verlass ist. Auf der Mannschaft liegt der Fluch nicht mehr Meister zu werden. Sie muss daher stets irgendwo ihre Titelchancen verspielen und der Tabellensiebzehnte Hannover 96 bot sich dieses Jahr als ideale Blamagehilfe an, doch war die Schalker Niederlage eigentlich nicht so blamabel . Die Roten zeigten lange vermissten guten Fußball mit Leidenschaft und gewannen verdient mit 4:2. Platz 16 sowie sehr viel Hoffnung sprangen dabei raus.

Jedes 96-Tor bekam mein Viertel lautstark mit. Die Fenster waren wegen des sonnigen Wetters weit offen. Es wird an diesem Sonnabend kaum jemand lange ausgeschlafen haben. Nach dem Abpfiff wurde ich allerdings in die örtliche Realität zurückgeworfen. Außerhalb des Cyberspace war niemand, der meine Freude so richtig teilen wollte. Zum Glück wiederholte golTV das Spiel am selben Tag dreimal. Ich guckte mir sogar lieber die Aufzeichnung erneut an, statt den Clásico zwischen Deportes Concepción und Naval im Stadion zu sehen. Jede andere Partie war an diesem Tag einfach emotionslos. 96 lebt wieder.

Freitag, 9. April 2010

Rituale im Abstiegskampf


Manch einer geht die letzten 96 Meter rückwärts zum Stadion oder ist genau 96 Minuten vor dem Anpfiff auf seinem Tribünenplatz. Andere wiederum vergraben tote Katzen unterm Spielfeld und begießen die Torpfosten mit 96 Jahre altem Wein. Jeder hat seine Rituale, mit denen er seinen Lieblingsverein zum Klassenerhalt helfen möchte. Die meisten Fans unterstützen ihre Elf vor Ort, für mich ist das jedoch unmöglich.

Concepción liegt etwa 13.000 Kilometer vom Niedersachsenstadion entfernt. Da kann ich noch so laut anfeuern, mich hört auf dem Platz kein Mensch. Lediglich die Nachbarn klopfen an der Tür, um sich zu beschweren. Überhaupt haben in dieser Saison alle meine taktischen Überlegungen versagt. Ein Bier beim Spiel half genauso wenig wie Kaffee. Es war egal, welches Trikot ich trug, das hatte keinerlei Einfluss auf den Ausgang. War ich via Internetstream oder TV dabei, lief es auch völlig unterschiedlich. Selbst die Notlösung auf eine Partie zu verzichten nützte wenig. Hannover verlor meistens und punktete selten. Ratlos wie Mirko Slomka schaute ich den Kickern zu und suche nach der richtigen Taktik.

Das Spiel gegen Schalke 04 wird endlich mal wieder vom Sender golTV direkt übertragen. Anders als bei den ruckeligen Internetstreams meine ich bei den Fernsehbildern tatsächlich einen gewissen Anteil am Ergebnis zu haben. Ich werde meine 96-Fahne vor dem Fernseher ausbreiten, meinen Schal über den Apparat legen und vom Sofa aus im Feldschlösschen-Trikot die Roten vor dem Abstieg bewahren.

Mittwoch, 7. April 2010

Abstiegserfahren und trotzdem standfest


Hannover 96 steckt im Tabellenkeller. Sowas zerrt an den Nerven und es scheint, als sei der drohende Absturz besonders katastrophal. Eigentlich müssten es die Fans der Roten besser wissen. Ligawechsel gehören bei diesem Klub dazu. In den 70ern und 80ern war er eine Fahrstuhlriege. Zum hundertjährigem Vereinsjubiläum 1996 ging es sogar in die damalige Regionalliga. Ein Andenken an diese schwärzeste Saison steht auch in Concepción in meinem Geschirrschrank: das oben abgebildete Bierglas.

Es hat in den vergangenen Jahren mit einer hohen Belastbarkeit beeindruckt. Diverse Umzüge hat es überstanden. Das 96-Glas fiel in die Hände schwankender Partygäste und selbst nach der langen Flugreise von Deutschland nach Chile blieb es ohne jegliche Kratzer. Im Morgengrauen des 27. Februar hat es erwiesen, wie unerschütterlich es ist. Nach dem Erdbeben der Stärke 8,8 sind keinerlei Mängel zu beanstanden. Andere Trinkgefäße lagen dagegen in Scherben zerstreut auf dem Küchenboden. Ruhig ist es immer noch nicht, zahlreiche Nachbeben rütteln weiterhin an seinem Boden. Diese meistert das Glas mit Bravour. Soviel Standfestigkeit sollte auf die aktuelle 96-Mannschaft abfärben, bebt es doch in dieser Saison permanent in der hannoverschen Fußballwelt.

Sonntag, 4. April 2010

Ein Punkt im Hamburger Hafen


Zweite Liga. Ich beschäftige mich derzeit viel mit ihr, obwohl ich sie eigentlich vergessen wollte. Sie ist längst wieder bei mir. An den Wochenenden verfolge ich per Internetradio das Gegurke aus dem Bundesligaunterhaus zum Frühstück. Es hat etwas Gemütliches und außerdem habe ich die Zweite Liga stets gemocht. In den 80er Jahren habe ich in jener Spielklasse 96 als meine Passion entdeckt. Heute passen Oberhausen, Paderborn, Union Berlin etc. gut zum Morgenkaffee und sind eine Einstimmung auf die Partien meiner Roten. Die Vorstellung, dass Hannover ab August das Frühprogramm sein wird, ist jedoch gruselig. Einen Abstiegskampf aus der Entfernung mitzuerleben ist hart, deshalb war ich vor dem Hamburg-Spiel extrem nervös.

Ich will einfach nicht ausschließlich Zweite Liga um mich herum. Es genügt schon, dass ich seit meinem Umzug von Santiago nach Concepción hauptsächlich Primera B-Spiele im Stadion sehen kann: Deportes Concepción, Lota Schwager und Naval de Talcahuano. In der Region sind die populären Teams unterklassig, Fernandez Vial sogar in der Tercera. Nur Huachipato und Universidad de Concepción rumpeln ganz oben herum. Die beiden letztgenannten erwärmen mein Herz aber nicht. Der Werksverein versprüht zu wenig Charme, die Unimannschaft ist blaugelb.

Mit Naval kann ich dagegen gut leben. Der Verein der Seeleute würde in Deutschland die Bezeichnung Kultklub bekommen. Trotz aller Pleiten und Rückschläge haben die Blau-Weißen ein treues Publikum. Ihr Stadion El Morro gehört zu den legendärsten Fußballplätzen Chiles. Hier wurde angeblich der Fallrückzieher erfunden, weshalb er in ganz Südamerika “La Chilena” genannt wird. Seit dem 27.02 ist Navals Heimstätte um eine Legende reicher. Ein Tsunami zerstörte die Anlage und spülte ein Schiff auf das Stadiongelände. Nachdem das Wasser zurück ins nahe Meer geflossen war, wurde das Spielfeld zum Zeltlager für die Erdbebenopfer umfunktioniert. Naval weicht bis zum Saisonende ins moderne Estadio CAP des Lokalrivalens Huachipato aus.

Am Samstag trat Naval zum ersten Mal seit dem Beben zuhause an. Gegner waren die Rangers aus Talca, eine beliebte chilenische Fahrstuhlriege. Die Fankurve der Gastgeber war gut gefüllt, der Rest blieb nahezu frei. Die Rangers gewannen, was ich trotz aller Sympathien für die Heimelf als gutes Zeichen ansah. Eine Equipe mit rotschwarzen Trikots entführte die Punkte aus einer Hafenstadt. Ein schönes Bild.

Mein Optimismus hielt an. Gegen Hamburg konnten meine Roten gar nicht verlieren, war ich mir sicher und behielt Recht. Hannover 96 bleibt natürlich auf der Intensivstation und ist weiterhin in Abstiegsgefahr, aber der Zustand hat sich stabilisiert. Das ist positiv, war doch der Verein bereits abgeschrieben. Das 0:0 beim Hamburger SV brachte die Roten in der Tabelle zwar nicht voran, neue Hoffnungen wurden allerdings geweckt. Die Mannschaft muss nicht immer verlieren, sofern sie kämpft. Das hat sie gegen den anderen HSV.

Freitag, 2. April 2010

Gar nicht an Köln gedacht


„Was ist das für ein Verein?“ fragte mich ein Junge, während er auf mein 96-Trikot zeigte. „Hannover 96, ein Spitzenteam aus Deutschland“, antwortete ich „Ah, Bundesliga, Vidal, Barrios...“ Genau, leider ohne Aturo Vidal und Lucas Barrios, dachte ich. „War der Klub schon Meister?“ Einmal? Zweimal! Das imponierte ihm nicht. Seine Helden von Colo-Colo sammelten im Abonnement die Pokale, erklärte er mir. Ich blieb unbeeindruckt, an solche Kommentare habe ich mich längst gewohnt. Sollte der Junge doch ruhig den Glanz seiner Lieblingself genießen. Er durfte es, das wahre Leben hatte ihm zuletzt arg zugesetzt. Ein Tsunami hatte seiner Familie in Dichato das Wohnhaus weggerissen. Das Trikot von Lucas Barrios war eines der wenigen Kleidungsstücke, die er noch besaß. Er trug es seit vielen Tagen und am vergangenen Samstag konnte er damit ein bisschen angeben.

Der Barrios-Fan war eines von vielen Kindern, die den Samstag trotz der erneuten 96-Pleite selbst für mich zu einem schönen Tag machten. Die Sonne schien, die Menschen lachten. Mit meinen Kollegen hatten wir für diejenigen, die beim Erdbeben alles verloren hatten, ein Familienfest organisiert. Die Aktion kam gut an. Für einen Moment konnten alle die gegenwärtige Situation vergessen und einfach Spaß haben.

Ich sollte per SMS leider erfahren, wie 96 zeitgleich wieder ein Beispiel bot, dass diejenigen, die gar nichts haben, am meisten geben. Eine fatale Großzügigkeit, die möglicherweise in der Zweiten Liga endet, doch das haben die Roten nicht begriffen, weshalb sie auch am 28. Spieltag weiter abstürzten. Hannover hat zwar durch die endlosen Niederlagen das Graue Maus-Image abgelegt und ist nun ein glühender Abstiegskandidat. "Da bevorzuge ich das Unscheinbare", dachte ich.

Ein Woche zuvor gab es sogar eine Renaissance des gewohnt grauen 96-Alltags, weil eine Niederlage beim VfB Stuttgart zu den normalsten Ereignissen der Roten gehört. Früher wurden jene erfolglosen Auftritte gar nicht beachtet. Die Slomka-Riege hatte allerdings in den Wochen zuvor ihr solides Fundament zerstört, so dass die Klatsche im Schwabenland die Existenzängste verstärkte. Seit dem 1:4 gegen Köln bleibt eine Therapiemöglichkeit: Punkte, möglichst viele.

Der Junge mit dem Colo-Colo-Trikot bemerkte, dass ich von einem Moment auf den anderen nicht mehr lachte, sondern betrübt dreinschaute. "Was ist los?", wollte er wissen. "Mein Verein hat verloren", antworte ich. Er war selbst Fußballfan genug, um den Stimmungswechsel zu verstehen und meinte nur: "Das passiert, dein Klub wird wieder gewinnen."

Samstag, 13. März 2010

Zittersiege gegen Eintracht Frankfurt und so...


Gelegentlich muss es richtig rappeln. Die Roten sind jedenfalls aus der Lethargie erwacht und können wieder gewinnen. Sie haben eine bereits Serie von zwei Siegen in Folge hingelegt, wenngleich es richtige Zitterspiele waren.

Während gegen der Begegnung mit Eintracht Frankfurt wurde ich nicht gestört. In ungewohnter Ruhe verfolgte ich die Internetübertragung der Partie und chattete nebenbei mit anderen 96-Fans. Es war das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit, dass ich mich mit Deutschen unterhielt, ohne dass die Worte „Katastrophe“, „fürchterlich“ oder „schlimm“ fielen. Hannovers neuer Schwung macht eben Hoffnung, außerdem blieb es fast die ganze Zeit still, nur in der 88. Minute wackelte mein Arbeitszimmer im derzeit üblichen Takt. Es war der vierte Erdstoß an diesem Morgen, der leichteste des Tages. Man gewöhnt sich daran, solange alles an Ort und Stelle bleibt.
Das ist manchmal anders. Vor dem Nachbarschaftsduell gegen den VfL Wolfsburg wusste ich bereits Samstagfrüh, dass meine Bundesligazeit nicht stattfinden sollte. „Sonntag kein Fußball!“ wurde mir am 27.02. ganz uncharmant um 3.34 Uhr mitgeteilt. Als ich aus dem Schlaf gerissen wurde, bewegte sich mein Bett von alleine. Mein Haus schien in die Hände eines Riesens gefallen zu sein, welcher es ganz kräftig durchschüttelte. Es war imponierend, wie flexibel so ein Gebäude sein kann. Die Wände dehnten sich wie Gummibänder in alle Richtungen. Aus meinem Schrank flogen meine 96-Trikots, ich schnappte mir das Liebste davon, weil bei einem Erdbeben ein Haus auch einstürzen kann und ich das Shirt nicht verlieren wollte.

Als vorübergehend Ruhe einkehrte, fiel der Strom aus und sollte so schnell nicht wiederkommen. Draußen vor der Tür lagen ein paar Elektroleitungen auf der Straße. Die zuständige Firma konnte ich nicht anrufen, da das Handynetz ebenfalls ausgefallen war. Auch beim Internetanbieter war kein Durchkommen. In meinem Wohnort Concepción waren nach den großen Rumms in der Morgenstunde alle mit mit ernsteren Dingen beschäftigt. Nebenan war ein Unigebäude explodiert, ein paar Meter lagen nur noch die Schuttreste eines Wohnhauses. Ein Bild, welches sich in der Stadt mehrfach wiederholte. Überall lagen Trümmer. Selbst mir wurde dadurch bewusst, dass 96 gegen Wolfsburg nicht ganz oben auf der Prioritätenliste stand. Es gab auch keine Möglichkeit etwas darüber zu erfahren, weil wir keinen Kontakt nach draußen hatten.

Mit den Erdplatten verschoben sich allso meine Gewohnheiten. Früher, als ich noch ins Stadion ging, besorgte ich mir vor dem Anpfiff einen Becher Bier. Gegen Wolfsburg wartete ich mit meinem Eimer in einer langen Schlange auf dreckiges Wasser für die Toilette. Glücklich war ich, als ich mit dem vollen Kübel nach einer halben Stunde Anstehens endlich nach Hause gehen konnte. In der zweiten Halbzeit besorgte ich mit einem Kanister Trinkwasser. Beim Tankwagen dauerte das Warten gute 90 Minuten. Irgendwie dachte ich die ganze Zeit überhaupt nicht an 96. Seltsam! Erst am folgenden Mittwoch berichtete mir ein Freund am Telefon, dass die Roten erneut verloren hätten. Sowas kann einem die ganze Woche versauen.

Vom Sechs-Punkte-Spiel gegen den SC Freiburg sollte ich dann sogar etwas mitbekommen. Mit meiner Familie war ich inzwischen von Concepción nach Santiago geflüchtet und saß nun im 14. Stock eines Hochauses. Jenes schwankte bei jedem Nachbeben gemütlich vor sich hin. Bis zur 60. Minute blieben sowohl die Netzverbindung als auch die Stromversorgung stabil, kurz vor der 1:0-Führung verabschiedete sich erneut mein Zugang zur Bundesliga. Zum Glück dachte mein Vater in der Heimat an mich und teilte mir per Telefon den 2:1-Auswärtsieg der Roten mit. Ein gutes Zeichen.

Seitdem geht es definitiv aufwärts. Bei 96 spricht keiner mehr von einem Trümmerhaufen. In Concepción werden solche allmählich beiseite geräumt. Ich wohne zwar mittlerweile drei Meter weiter von Hannover entfernt, aber da mein Schreibtisch wieder an seinem Platz steht, ist selbst diese Distanz überwindbar.

Sonntag, 14. Februar 2010

Werder Bremen und andere Abwärtstrends


“Was macht dein 96?” Diese Frage muss ich in letzter Zeit häufiger hören und immer weniger möchte ich sie beantworten. Seit Wochen kann ich nicht mehr von großartigen Siegen und einzigartigen Leistungen erzählen, weil auf ein Debakel das nächste folgt. Das 1:5 gegen Bremen war ein neuer Tiefpunkt, hoffentlich der letzte, denn die schlechten Neuigkeiten machen weltweit die Runde.

Es begann mit den drei Eigentoren gegen Borussia Mönchengladbach, als sich plötzlich mein Freundeskreis für die 96-Ergebnisse interessierte. Dieser Rekord wurde im Sportteil der chilenischen Nachrichten vermeldet, worauf ich zahlreiche höhnische SMS erhalten sollte. Ich hatte diese Partie abgehakt, andere leider nicht. Drei Treffer ins eigene Netz, das passiert Hannover gelegentlich.

Einmal als Rummelfußballer bekannt, blieb das Interesse für 96 also. Wird aus dieser Mannschaft noch etwas oder geht es direkt abwärts? Nach den Niederlagen gegen VfL Bochum, Hertha BSC, Mainz 05, Nürnberg und Hoffenheim folgte stets derselbe Spott: „Puro huevones“, pflegt der Chilene zu sagen. (Anmerkung: Eine direkte Übersetzung wäre „alles Eierköpfe“. Je nach Stimmungslage darf es verschieden interpretiert werden.) Stimmt wohl, dabei habe ich mit den Roten weitaus schlimmere Jahre erlebt. Einen Abstiegskampf von Übersee zu verfolgen, ist jedoch hart. Ich kann nicht ins Stadion und 96 trotz allem anfeuern. Früher war ich bei fast allen Spielen vor Ort, ganz egal, wie der Klub kickte.

Während Werder Bremen traditionell mein Lieblingsteam deklassierte, überquerte ich gerade den Andenpass Pino Hachado von Argentinien nach Chile. Hinter mir lag ein schöner Sommerurlaub, vor mir glänzten zwei schneebedeckte Vulkane in der Sonne. Eigentlich ist das nicht die Situation, in der an schlechten Fußball und Abstiegskampf gedacht wird, zumal ich sogar an ein kleines 96-Wunder glaubte. Im Internetcafe des Städtchens Lonquimay flimmerte die Ernüchterung über den Computerbildschirm und ich widmete mich wieder der herrlichen Natur. „Desconectarse“ wird das in Chile genannt: abschalten!

Abschalten können die Roten derzeit nicht. Wie sehr der tragische Tod von Robert Enke die Mannschaft belastet, kann aus der Ferne nur spekuliert werden. Der Nationaltorwart war der einzige Spieler mit internationaler Klasse im Kader und hatte selbst vom Kasten den Rest der Riege gestärkt. Wahrscheinlich hätte sich ein gewöhnlicher Vereinswechsel Enkes ähnlich negativ auf 96 ausgewirkt, denn einer wie er kann nicht leicht ersetzt werden. Stuttgart und Hertha haben auch ihre besten Spieler verloren und liegen hinter dem Vorjahrsniveau. Dass bei dem Verlust von Robert Enke statt Millionen Euro leider Millionen Tränen flossen, ist eine ganz andere Bürde. Hannover 96 muss eine riesige sportliche Lücke kompensieren und zusätzlich einen Schicksalsschlag verkraften. Das kann zuviel sein, aber die Konkurrenz im Tabellenkeller präsentiert sich ebensowenig von der besten Seite.