Welch ein Moment. Diego spielte Fußball. Nur wenige Minuten nach der 0:3-Niederlage Chiles gegen Brasilien kickte mein Sohn einen Ball vor sich her. Sonst hatte er ihn immer in die Hände genommen anstatt zu treten. Dabei war es nicht sein Ball, sondern eines anderen kleinen Jungen, welcher mit seinen Eltern den Sonntag auf dem Uni-Campus genoss. Diego, mit einem Chile-Trikot unter der Jacke bekleidet, schnappte sich laut „Ballllllll“-rufend das Spielgerät und lief davon. Der zweijährige Sebastian hatte das Nachsehen.
Ich war natürlich ein stolzer Vater und Sebastians Eltern fragten mich, in welcher Sprache ich mit dem kleinen Fußballer reden würde. „Deutsch“, sagte ich und die beiden erkannten darin den Grund für das frühe Talent. „Mutter Chilenin, der Papa Deutscher: Diego ist also ein typischer deutscher Nationalspieler,“ meinte Sebastians Vater Rodrigo mit Blick auf den aktuellen WM-Kader der DFB-Auswahl. Kinder binationaler Ehen prägen die deutschen Auftritte in Südafrika. Der Chilene wollte ihn deshalb schon vorausblickend für sein Land fest verpflichten.
Ob Diego tatsächlich einmal ein großer Star wird oder wie ich nur großmäuliger Kritiker, bleibt abzuwarten. Momentan tritt er meist in meinem Fußstapfen. Er singt bei „Alte Liebe“ auf seine Art mit und klatscht bei anderen 96-Liedern in die Hände. Überhaupt erkennt er problemlos das 96-Wappen in seinem Alltag. Er nennt es „Lala“, weil in meiner Küche ein Altin Lala-Poster hängt und dieser Name bei all den Schweinsteigers, Mertesackers und Trochowskis recht einfach ist.
Zur deutschen Nationalelf hat Dieguito eine erweckende Beziehung. Sie ist „Kaffee“, was daran liegt, dass ich zum WM-Frühstück aus einer DFB-Tasse trinke. Sieht er den Adler, sagt er „Kaffee“ und lacht. Weiteres Interesse für den dreimaligen Weltmeister konnte ich bei ihm noch nicht entdecken. Wenn Diego vor der Wahl steht, einen Deutschland- oder einen Hannover-Schal zu tragen, greift er zum Schwarzweißgrün. Mir ist das Recht, 96-Fan zu sein ist ein Familienerbe.
Seine WM-Vertreter waren dagegen die glücklosen Chilenen. Mit seiner Mutter hatte der Kleine den typischen Schlachtruf „Chi-Chi-Chi Le-Le-Le! Viva Chile!“ einstudiert. Mit Erfolg: Während mein Sohn auf Fotos im Deutschlandtrikot stets traurig schaut, lacht er im chilenischen Rot. Und beim WM-Gucken im Kindergarten war er der Oberfan, weil er die Wörter „Ball“ und „Tor“ schon kennt. Allerdings auf Deutsch, womit die anderen wenig anfangen können.
Am vergangenen Sonntag wollte er es dann selbst probieren. Alexis Sanchez, Arturo Vidal und die übrigen Auwahlkicker hatten es zuvor nicht gepackt. Klein-Diego umkurvte mit dem Ball einen Baum und dribbelte in Papis Tagträumen schon durch holländische Abwehrreihen. Bis sich ein Hund die Kugel schnappte und der Junge das Nachsehen hatte.
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