Einen freien Tag am Meer! Pedro sehnte sich danach, seit Wochen hatte er kaum eine Minute Zeit für sich gefunden. Arbeiten, arbeiten, arbeiten: Seine Zukunftspläne forderten ihn fast pausenlos, dabei hatte er etwas Ruhe dringend nötig. Er fühlte sich ausgebrannt und auch andere menschliche Bedürfnisse kamen viel zu kurz. Seine Freude war daher riesig, als ihn unverhofft eine E-Mail von Marcella erreichte. "Lass uns mal treffen", schrieb sie. Sie habe Pedro im Internet ausfindig gemacht. Früher lebten die beiden Tür an Tür in Santiago, mit Beginns des Studiums hatten sie leider den Kontakt verloren. Jetzt wohnten sie zufällig wieder in derselben Stadt.
Marcella schlug einen Ausflug nach Tomé vor. Ihr hatte das melancholische Fischerdorf bei Concepción schon als Kind gut gefallen, sie liebte es stundenlang am naturbelassenen Strand zu spazieren. Pedro hatte nichts dagegen und sagte sofort zu. Er war gespannt, wie seine ehemalige Nachbarin heute aussehe und ein bisschen Abwechslung tat ihm gut.
Die beiden trafen sich auf der kleinen Plaza de Armas des Ortes und begrüßten sich unsicher. Etwa zehn Jahre hatten sie sich nicht mehr gesehen, die alte Vertrautheit war verflogen. Sie gaben sich einen Kuss auf die Wangen, jedoch keine innige Umarmung. "Gehen wir zum Meer?", fragte Marcella. "Ja, klar", antwortete Pedro und blickte sie an. Seine heimliche Jugendliebe war selbst mit der Zeit sehr attraktiv geblieben. Ihre kräftigen langen schwarzen Haare hatten ihn seit jeher fasziniert und der weiß-grüne Mantel stand ihr gut. Pedro wollte sich ein Kompliment nicht verkneifen: "Gut siehst du aus." Marcella nahm es dankend an.
Sie gingen eine Weile an der Küste entlang und unterhielten sich über ihre Lebensgeschichten. Marcella hatte eine Tochter, war allerdings alleinerziehend. Pedro hatte ebenfalls eine Scheidung hinter sich, seitdem vertiefte er sich nur noch in seinen Job. Beide schienen die Notiz des Singlelebens mit gegenseitigem Interesse aufzunehmen, ersparten sich dennoch die Kommentare. Ein Weile schlenderten sie im Sand, während die seichten Wellen an das Ufer schlugen. "Woran denkst du gerade?", wollte Pedro wissen, als Marcella intensiv eine Möwe dabei beobachtete, wie sie auf einem dunklen Stein saß und aus den Algen etwas herauspickte. Seine Begleiterin lachte: "Das kann ich dir eigentlich gar nicht sagen: an Hannover 96." Für Pedro kam das gar nicht so überraschend, hatte er doch ähnliches im Kopf: "So ein Zufall. An die Roten musste ich auch denken."
Als sei es das selbstverständlichste der Welt gingen sie weiter, bis Marcella fragte, warum er sich ausgerechnet mit diesem Fußballverein aus Deutschland beschäftige. "Ich habe eine Weile in Hannover gewohnt", erklärte Pedro. Seitdem kreise 96 ständig in seinem Kopf herum und jetzt, da langsam die neue Saison beginne, erst recht. "Mir geht es fast genauso", meinte die junge Frau. Sie habe den Aufstieg in die Bundesliga miterlebt und verfolge daher den Werdegang der Mannschaft. "Und wo wird 96 am Ende landen?", verlangte Marcella einen Tipp, doch Pedro wich aus, weil es so unklar wie die Sicht auf den Pazifik sei und zeigte dabei aufs Wasser. Nebelschwaden ließen den Ozean verschwinden, nur ein paar vereinzelte Fischerboote konnten die beiden erkennen.
"Aber die Neuzugänge sagen dir doch zu!", behauptete seine Freundin. "Nun ja", überlegte Pedro laut, "Mit Jan Schlaudraff, Mario Eggimann und Mikael Forsell habe ich mich nie beschäftigt". Gerade der Ex-Bayernstürmer Schlaudraff müsse sich erst beweisen, auf der Münchner Ersatzbank könne er doch einiges verlernt werden. "Ich glaube, sie werden irgendwo zwischen Platz Acht und Zwölf die Saison beenden", meinte Marcella. Beide lachten über diese Standardvoraussage. "Auf den Sportkanälen werden manchmal die Spiele gezeigt" erwähnte Pedro daraufhin. "Dann lass uns 96 doch bei Gelegenheit zusammen gucken", war Marcellas Idee. Ihrem Bekannten gefiel es: "Ach, das wäre nett. Die Partien laufen zur Frühstückszeit" Ihr selbst blieb ein Schmunzeln nicht verborgen: "Nur eine Frage: werde ich beim Anpfiff schon oder immer noch bei dir sein?"
WOW, Florian, ich bin schwer beeindruckt. Mal etwas ganz anderes von dir zu lesen und dann wirklich gut gelungen. Irgendwie merkw�rdig waren aber die Szenen, wo 96 ins Spiel kam, denn das wirkte f�r die Szene im weitentfernten chilenischen Fischerd�fchen nicht so passend!...aber mit dem Schlussabsatz bekam das ganze dann eine gute und witzige Rundung!
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