Donnerstag, 10. Juli 2008

Wetteinsätze


„Hannover 96, das wird mein Team in dieser Saison“, stellt Gonzalo euphorisch fest, obwohl er den Verein eigentlich gar nicht kennt, er hat nur Gefallen am Namen gefunden. „Noventayseis, noventayseis", wiederholt er ohne Pause, bis sein Umfeld genervt reagiert. "Hast du eine neue Bessenheit?", fragt seine Frau. "Nein, so heißt ein Bundesligaklub in Deutschland", erklärt er stolz, dabei ist Gonzalo kein Fußballfan im ursprünglichen Sinne, sondern ein semiprofessioneller Zocker ist. Neben seinem Autoverleih in San Antonio verdient sich der 48-Jährige ein Zubrot mit Sportwetten, deren Gewinne mal größer und mal kleiner ausfallen. In der Regel bleiben jedoch die Einsätze bei den Anbietern, wovon Gonzalo natürlich ungern spricht, denn Verluste verschweigt er lieber.

Mit seiner aktuellen Strategie hatte er in den vergangenen Spielzeiten überdurchschnittlichen Erfolg. Seine Wettpaten waren eine Saison lang Klubs mit interessanten Namen, wie zum Beispiel Dnepr Dneprtrowsk, Huachipato, Extremadura oder auch Gimnasia e Esgrima Jujuy. Bei solchen Mannschaften entscheidet er seitdem alle seine Tipps: Ergebniswetten, Tordifferenzen, Auswechselungen, die Anzahl der Eckstöße und Zeitpunkte der ersten Treffer. Gonzalo setzt auf alles Geld, auf das man bei internationalen Buchmachern wetten kann. Dieses Jahr soll eben 96 sein Glücksbringer werden.

„96 – das ist fantastisch“ ist er sich gewiss, ist er doch außerdem überzeugt, die Deutschen wissen bei dieser Zahl sofort, was dahinter stehe. Große Erklärungen seien nicht notwendig, was ganz genau wie bei „La Universidad de Chile“ sei. Da sprechen die Chilenen auch nur von „La U“ und jeder kapiere sofort, dass es sich um die Blauen aus Santiago handelt. An zahlreichen Mauern im ganzen Land ist das U zu lesen. Dieses U ist nicht nur einfach ein Buchstabe, sondern eine Grundeinstellung. Die Sympathisanten des Vereins schreiben es immer groß, die Anhänger des Erzrivalen Colo-Colo verzichten dagegen in ihrem Alphabet auf das U und ersetzen es mit einem X. „So ähnlich wird das bei 96 sein“, glaubt Gonzalo. „96 – das ist eine Passion.“

Im Internet recherchiert er tagtäglich über den Bundesligisten und steigert sich geradezu hinein, schließlich muss er wie ein Fan denken, um auch auf Absurde und kuriose Momente zu setzen. Nur wer mit seiner Riege leide, könne ans Unmögliche glauben, ist sein Credo. So summt er ständig diverse 96-Lieder vor sich hin, die von den Computerprogrammen haarsträubend ins Spanische übersetzt werden. Gut, „96 – alte Liebe“ ist einfach, aber was soll bitteschön „Schwarz-weiß-grün hängt vom Balkon“ bedeuten? Der Wettkönig findet heraus, dass sein neuer Lieblingsklub als Zweitligist Pokalsieger war und dieser Text damit etwas zu tun hat. Überhaupt ist er von den Farben begeistert, denn die Fahnen haben mit den Trikots der Mannschaft wenig gemeinsam. „Es sind die Roten und es hängt schwarz-weiß-grün vom Balkon, wenn 96 gefeiert wird“, überlegt Gonzalo, ohne den Sinn zu verstehen, trotzdem freundet er sich immer mehr mit den Niedersachsen an.

Der neue Terminkalender passt ihm gut, nur einmal kickt sein Hannover am Samstag. Begegnungen am Freitag oder Sonntag werden vom Fernsehen live übertragen, samstags bevorzugen die Sportkanäle Bayern München. Gonzalo kann sich daher ein gutes Bild von den Spielern machen und lernen, wo wer welche Schwächen und Stärken besitze. Das erleichtert ihm ein bisschen das Wetten. Die Pokalpartie gegen Halle wird ein Testlauf, weil der Neufan kaum Überraschungen erwartet: „Ein klares 5:1 für 96, Probleme gibt es nur in der ersten Halbzeit.“ Die Tore zum 3:1, 4:1 und 5:1 fallen zwischen der 68. und 88. Minute. Aus purer Leidenschaft setzt er nebenbei auf die Roten als Pokalsieger, vielleicht begreift er dann endlich auch, warum schwarz-weiß-grün vom Balkon hängt.

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